"Wir sind Kandel" am 24.03.2018 - Germersheimer Studis für Toleranz, Offenheit und gegen Fremdenhass

Samstag, der 24.03.2018, 13 Uhr: Sieben Studis aus Germersheim warten auf einen Bus, der extra bestellt wurde, um die Demonstrationswilligen sicher nach Kandel zu fahren. Dabei war es noch nicht einmal sicher, ob der Bus überhaupt fährt, weil sich zu wenige verbindlich angemeldet hatten. Also dachte ich mir, ich möchte unbedingt an der Demo teilnehmen, denn es muss etwas getan werden, damit die Fahrt mit dem Bus doch noch stattfindet. Zusammen mit zwei anderen Studierenden druckte ich also den Aufruf zur Demo aus und wir verteilten ihn zwei Tage vorher in Germersheim, in Cafés, in der Stadtverwaltung, bei Dönerläden, vor dem Bahnhof und vor Real. Zusätzlich schlichen wir uns in sämtliche Stockwerke des Studentenwohnheims am Bahnhof und machten Werbung. Die Resonanz, die wir bekamen, war durchweg sehr positiv, dennoch kennt man das ja: In den Semesterferien herrscht tote Hose, vor allem in Germersheim.

Wir sind Kandel – Was ist das überhaupt und warum gibt es das?

Ausgerichtet wird diese Demo, die eigentlich eine Gegen-Demo ist, von dem am 10. März 2018 gegründeten Bündnis „Wir sind Kandel“. Nachdem viele Rechtsextreme auf die Straße gingen, angeblich, um den Tod der 15-jährigen Mia zu betrauern, wurde schnell klar, dass Mias Tod nur instrumentalisiert wurde. Mia war im Dezember von ihrem Ex-Freund, einem afghanischen Flüchtling, erstochen worden. Als die Nationalität des Täters bekannt wurde, beschäftigte dieser Fall ganz Deutschland und vor allem asylpolitische Fragen rückten wieder in den Vordergrund politischer Debatten.

Rechtsextreme Gruppen wie „Der dritte Weg“, die „Identitäre Bewegung“ und andere begannen im Januar in Kandel zu demonstrieren. Anfang März wurden von der AfD sogar etwa 4000 Menschen mobilisiert, die „Kandel ist überall“ auf den Straßen skandierten. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass die AfD schon vier Wochen vorher deutschlandweit ihre Anhänger zum Demonstrieren aufrief.

Nach diesem regelrechten Schock der tausendfachen Beteiligung rechter Gruppierungen, unter ihnen auch ein paar Hundert Rechtsextreme, wollten die Bürger Kandels ein Zeichen setzen, dass sie eben nicht der Meinung der Demonstranten sind. Sie wollen sich als offene, freundliche, kommunikative südpfälzische Gemeinde präsentieren. Was sie nicht wollen, ist Hetze gegen Fremde und gegen Asylsuchende. Sie wollen keine Pauschalisierung und auf ihren Straßen keine Sätze wie: „Asylanten sind alle kriminell“ oder „Durch Asylanten verlieren die Deutschen ihre Identität“, hören.

 

Als Gegen-Demonstration schlossen sich die Facebook-Gruppe „#FreeKandel“ und die Bürgerinitiative „Wir sind Kandel“ zum gleichnamige Bündnis „Wir sind Kandel“ zusammen. In diversen Gruppen sozialer Medien, aber auch von vielen einzelnen Usern wurde der Aufruf zur friedlichen Gegen-Demonstration mit einer Kundgebung geteilt.

An diesem Tag waren wir nun sehr gespannt darauf, was uns erwarten würde. Zusammen mit ca. einem Dutzend Mitglieder aus dem Verein Interkultur aus Germersheim fuhren wir zusammen im Bus nach Kandel. Der Herr, der den Bus organisiert hatte, bat uns, uns nach der Kundgebung wieder am Bus einzufinden, sodass allen Insassen eine sichere Rückfahrt garantiert werden könnte. Wir mitfahrenden Studis schauten uns an und fragten uns halb scherzhaft, halb besorgt, ob wir denn etwas zu befürchten hätten.


In Kandel angekommen, liefen wir den Gruppen von Menschen nach, gut erkennbar an den „Wir sind Kandel“-Buttons oder Transparenten. Je näher wir dem Ort der Kundgebung, dem Bahnhofsvorplatz in Kandel, kamen, desto mehr fiel uns die Polizei-Präsenz auf. Überall waren Polizisten. Insgesamt waren rund tausend Beamte im Einsatz, was man in der nur 9000 Einwohner starken Gemeinde Kandel spürte.

Der Bahnhofsvorplatz füllte sich schnell. Die Gewaltbereitschaft der Antifaschisten-Gruppe machte sich beim Einfahren eines Zuges mit rechten Demonstranten bemerkbar: Die sich zur „Antifa“ bekennenden Demonstranten wollten diese am Aussteigen hindern, was von der Polizei unterbunden wurde. Wir sahen zu, dass wir schnell Abstand gewannen und suchten uns einen Platz in der friedlichen Menschenmenge.

Als Zeichen der Geschlossenheit, waren auch einige Vertreter der rheinland-pfälzischen Landesregierung zugegen. Malu Dreyer hielt eine Rede, in welcher sie ihre Unterstützung allen Bürgern und Personen mit politischen Ämtern in Kandel versicherte. Sie sprach sich offen gegen die vergangenen Demonstrationen aus und machte allen Mut, die sich gegen Fremdenhass und Intoleranz wehren. Weiter stellte sie klar, dass man stolz auf seine deutsche Herkunft sein darf und trotzdem in einer Demokratie leben kann. Malu Dreyer wirkte sehr authentisch in ihrer Rede und man merkte ihr an, dass ihr diese Situation des immer weiter aufkeimenden Rassismus sehr nahegeht und wie sehr sie das freie, demokratische Lebensgefühl für alle in Deutschland lebenden Menschen bewahren will.

Nachdem sie geschlossen hatte, wurde laut und lange applaudiert und Fahnen geschwungen. Es folgten weitere Reden von anderen Regierungsvertretern und dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Das Bündnis „Wir sind Kandel“ stellte sich und seine Philosophie ebenfalls vor.

Zwischen den Beiträgen gab es eine musikalische Untermalung von der Band „Strom und Wasser“ um Heinz Ratz mit gesellschaftskritischen Songs.

Nach den Reden wurden die Demonstrierenden aufgerufen, in einem Zug durch die Innenstadt Kandels zu laufen. Dieser Zug verlief friedlich und wurde von gelegentlichen Sprechchören begleitet. Nachdem wir wieder am Bahnhofsvorplatz ankamen, steuerten wir den Bus an, der uns nach Germersheim zurückbringen sollte.

Was uns bleibt, ist das gute Gefühl, dabei gewesen zu sein und mit so vielen Menschen für unsere Überzeugungen einzustehen.

Um es mit Malu Dreyers Worten zu sagen: „Wir demonstrieren nicht gegen etwas, sondern für etwas. Wir demonstrieren für ein freies Land, für Offenheit, Toleranz und Demokratie.“

Wer zu einer weiteren Demonstration nach Kandel mitfahren möchte, kann sich gerne bei mir melden, die Kontaktdaten bekommt ihr von unserem AStA. Oder ihr schreibt mich bei Facebook an.

Judith Petersen

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