Germersheim früher – oder: (Uni-)Leben in StudiVZ-Gruppen

Es begab sich aber zu der Zeit, als… nein, ganz so historisch soll dieser Artikel dann doch nicht werden. Obwohl – wer erinnert sich heute eigentlich noch an StudiVZ? Für viele mag „Deutschlands großes soziales Netzwerk“ (Eigenbezeichnung) tatsächlich aus der grauen Vorzeit stammen und längst im Abgrund der Geschichte verschwunden sein wie zuvor bereits Telefone mit Wählscheiben, Testbilder im Fernsehen oder Diskettenlaufwerke.

 

Und dennoch: Wer von StudiVZ spricht oder sich daran erinnert, muss nicht an Zeiten zurückdenken, in denen es nur drei Fernsehprogramme gab. Ganz postfaktisch und ohne empirische Datengrundlage würde ich sogar behaupten, dass vor sieben oder acht Jahren die übergroße Mehrheit der Germersheimer Studenten eher StudiVZ als Facebook nutzte. Und dass sich das damalige Uni-Leben ein Stück weit auch mittels StudiVZ nachzeichnen lässt:

 

Nun gut, begeben wir uns also auf eine kleine Zeitreise. Was es dazu braucht? In meinem Fall den Internet Explorer auf meinem alten Rechner – denn nur dort sind Benutzername und Passwort zum Login noch immer eingespeichert! Alsbald öffnet sich die Startseite, ich sehe, wer demnächst Geburtstag hat, wer zuletzt meine Seite besucht hatte, ob ich jemanden gerne „gruscheln“ würde und dass im „Buschfunk“ nichts los ist. Meine Pinnwand ist übersät mit den immer gleichen Geburtstagsglückwünschen einer gewissen Lea, die sich selbst als VZ-Moderatorin bezeichnet. Noch immer habe ich am FTSK 96 Freunde – Menschen, die bisher entweder vergessen haben sich abzumelden, oder aus Nostalgie diesen Schritt nicht gehen möchten. Manche dieser Namen lösen nur noch schwache Erinnerungen aus, andere sehe ich fast täglich auf dem Campus.

 

Es muss wohl im Wintersemester 2006/07 gewesen sein, als der damalige StudiVZ-Boom auch Germersheim erreichte. Mit der von fast allen genutzten Möglichkeit, die eigene Uni im Profil anzugeben, machte man sich bald einen Spaß daraus zu sehen, wer nun alles am „FASK Germersheim“ (so der damalige Name) studierte. Dass jeder unter seinem richtigen Namen angemeldet war, erleichterte die Suche zudem ungemein – übrigens auch dabei, „auffällige“ (…) Personen über die Kombination Teilnehmerliste in der Vorlesung + StudiVZ-Name virtuell besser kennenzulernen (danke, BA-Reform bzw. Anwesenheitspflicht).

 

Einer der größten Vorzüge von StudiVZ waren zweifellos die zahlreichen Gruppen – in der Anfangsphase gab es kaum jemanden, der das Gruppenlimit von 100 nicht ausnutzte, waren sie doch Teil der individuellen (Online-)Identität. Neben allgemeinen Gruppen, die bisweilen humorvoll den damaligen Zeitgeist widerspiegeln („Wann sterbe ich endlich, weil ich Kettenbriefe nie beantworte?“, „Okay, keine Emowitze mehr. Ist geritzt!“, „Ich bin 14 und fotografiere mich selbst von schräg oben“…), waren am Fachbereich noch zwei weitere Kategorien in hohem Maße vertreten: diejenigen, die Germersheim in irgendeiner Art und Weise porträtierten, sowie diejenigen, die das Studentenleben unserer Studiengänge in den späten Nullerjahren charakterisierten.

 

Letztere Gruppen trugen Namen wie „Scheine kann man wiederholen, Partys nicht“, „Bachelor – Ich schreibe gerne 37 Klausuren pro Semester in 5 Tagen“, „Linguisten können besser küssen“, „Was geht, du Opfer? Angewandte Straßenlinguistik für Akademiker“, „Unnötige Fragen verzögern das Vorlesungsende“, „Wie? Du brauchst ein Wörterbuch? Du bist doch Übersetzer?“ „Ich lasse mir die Decalage vergrößern!“, „Diplom macht sexy! Was bitte ist ein Bätscheler?!“ oder „Über-ICQ-in-der-WG-Kommunizierer“.

 

Die Germersheim-Gruppen kreisten um auch heute noch bekannte und beliebte Themen bzw. Orte („Café Allegro Addicted… mmh lecker :-)“, „Wir lieben das Amadeus“, diverse Konversations- und Filmabende etc.). Humorvoll wurden auch einige Spezifika unseres Fachbereichs behandelt: Die Dolmetscher gründeten die Gruppe „Straflabor für Kellerkinder“, auf die Gruppe „Mein Studiengang hat zu wenig Männer“ folgte die Antwort „Männer am FASK – Es gibt sie doch!“ (wiederum gefolgt von der in Gruppenform postulierten Forderung „Für mehr Männertoiletten am FASK“) oder die an Selbsthilfe erinnernde Gruppe „Sag Ja zu Germersheim“, die vermutlich die Reaktion auf die gegenteilige Gruppe „Germersheim – the place NOT to be“ war. Legendär auch das folgende, zur Gruppe mutierte geflügelte Wort: „‘Auf nach Mainz‘ dachte ich, als ich mich in Germersheim bewarb“.

 

Ein bekannter Germersheimer Immobilientycoon bekam schließlich ebenso seine eigene Gruppe („Mein Vermieter heißt Dieter“) wie der allseits beliebte Gemüsemann („Äppelsche und Banääänsche – Ich liebe den Gemüsemanndialekt“). Ehemalige studentische Gremienmitglieder fanden sich in der Gruppe „Nicken und klopfen – Die Anonymen (Ex-)Astis/Stupis“ zusammen. Über anstehende Partys informierten Gruppen wie „Party in Germersheim“ oder „Mensadisse Germersheim – Wir sind dabei“; eine weitere Gruppe organisierte Flashmobs in Germersheim… und nicht zuletzt bekam das im Sommersemester 2007 den Fachbereich heimsuchende (und heute aus traurigen Gründen schwerlich denkbare) Killer-Spiel seine eigene Gruppe (für alle, die damals noch nicht hier waren: Es ging darum, eine einem zugewiesene Person mittels einer kleinen Wasserpistole zu eliminieren und gleichzeitig stets auf der Hut vor seinem eigenen Killer zu sein – die Attentate fanden dann beispielsweise im Seminarraum, auf der Tanzfläche der Mensadisco, im Frauenklo etc. statt ;-)).

 

Wer sich heute und seit langer Zeit wieder einmal durchs StudiVZ klickt, muss sich vorkommen wie ein Mensch, der als einziger einen Angriff von Außerirdischen auf unseren Planeten überlebt hat und nun durch verlassene Straßen und ausgestorbene Städte zieht. Alles wirkt bekannt, vertraut – und doch kann man angesichts der Patina, die alles überzogen hat, einen gewissen Grusel nicht verhehlen. Da liegen sie also, die Erinnerungen an frühere Zeiten; man blickt auf tote Profile, auf Bilderserien einst legendärer Partys und fällt einer Mischung aus Verwunderung und Melancholie anheim: Verwunderung darüber, mit welch kindlicher Naivität und Begeisterung man sein Leben in digitale Netzwerke übertrug und sich plötzlich gar nicht mehr vorstellen konnte, dass es auch eine Zeit vor Freundschaftanfragen, Pinnwandeinträgen und Online-Fotoalben gab. Für die Melancholiker hingegen mag eine letzte und damals äußerst populäre Gruppe einen Ausweg aufzeigen: „Ich hab noch nie so viel Germersheim getrunken wie in Jägermeister“!

 


- Artikel aus dem 06|kurier vom WiSe 2016/17 -

Kommentar schreiben

Kommentare: 0