„Schiri, hast du deine Brille vergessen?“
„Schiri, der hat schon Gelb!“
„Schiri, das war nie im Leben Abseits!“
„Schiri, Telefon!“
„Schiri, wir wissen wo dein Auto steht!“
Es gibt genügend Sprüche, die man sich als Mann in Schwarz anhören kann. Egal ob in der Kreisliga vor 50 Zuschauern oder im Profigeschäft in einem Hexenkessel mit 70.000 Menschen: Als Schiedsrichter wird man es vermutlich nie schaffen, alle Beteiligten zufriedenzustellen.
Dennoch hat mich dieser Nebenjob interessiert. Vermutlich auch dem eigenen Mangel an fußballerischem Talent geschuldet, legte ich im Mai 2008 meine Schiedsrichter-Prüfung ab. Nach einem mehrwöchigen Lehrgang standen 30 Regelfragen und ein Fitnesstest auf dem Programm. Die Regelfragen reichen dabei über die berühmte Abseitsfrage hinaus. Neben den Rahmenbedingungen wie Tormaße, Linienlängen auf dem Platz oder Vorgehen bei starkem Schneefall wurden auch Auslegungsfragen gestellt: Während des laufenden Spiels beleidigt der Trainer einen Spieler der gegnerischen Mannschaft verbal und zusätzlich durch eine grob unsportliche Geste. Deshalb nimmt der im Feld befindliche Spieler eine an der Seitenlinie stehende Trinkflasche und wirft sie dem Trainer an den Körper. Da der Schiedsrichter beide Vorgänge wahrnimmt, unterbricht er das Spiel. Wie muss er entscheiden?[1] Der Fitnesstest umfasste damals lediglich den Cooper-Test, den viele noch aus dem Sportunterricht kennen dürften.
Zu Beginn der Saison 2008/09 wurde ich zunächst in der C-Jugend eingesetzt. Die größte Schwierigkeit bei Juniorenspielen sind vor allem die übermütigen Helikoptereltern. Am Anfang war sogar noch ein erfahrener Schiedsrichter bei mir, der mir Rückmeldung zu meinen Leistungen gab und unter dessen Schutz ich mir auch meine ersten Sporen verdienen konnte. Offensichtlich war mein Auftreten nicht ganz so übel, wie manche der o.g. Sprüche anklingen lassen, denn bereits Ende der Saison durfte ich mein erstes Spiel im Seniorenbereich leiten. Ich war erst 17 und sollte also eine Horde Hobbyfußballer im Zaum halten: Die Partie hieß TuS Lenhausen II gegen SpVg Oberveischede II, Kreisliga C, damals die unterste Liga in meinem Kreis. 03.05.2009, sonntagmittags um 13 Uhr, höchstens 10 Zuschauer, die meisten davon mit Bierflasche: Kreisligafeeling pur! Und dennoch war ich nicht nur aufgeregt, sondern auch stolz. Wie bei allen Partien zuvor musste ich aufgrund meines Alters natürlich von meinen Eltern gefahren werden, was mir schon vor Beginn die ersten Sprüche seitens der Spieler einbrachte. Aber mit dem Anpfiff war dieser Nachteil vergessen, denn was die Abläufe vor Spielbeginn angeht, ändert sich zwischen Juniorenbereich und Seniorenbereich im Breitensport nicht viel: Als Schiedsrichter sollte man mindestens 30 Minuten vor Anpfiff am Platz sein, sich die Örtlichkeiten anschauen, die Tornetze auf Löcher kontrollieren, den Platz auf Gefahren untersuchen und sich schon ein Bild von den Teams machen. Gerade in den unteren Ligen gibt es oft Probleme, weil Pässe angeblich noch nicht da sind, die Passbilder noch aus dem vergangenen Jahrhundert stammen oder beide Mannschaften nur eine Trikotfarbe besitzen. Das ist ärgerlich und muss vor Anpfiff geklärt werden, auch wenn viele Betreuer sich den Schiedsrichter lieber kulant zurechtbiegen möchten. Assistenten, mit denen ich mich hätte absprechen müssen, gibt es in meinem Heimatverband erst ab der Landesliga. Und von der war ich damals noch weit entfernt. Nach der Passkontrolle geht es also los, Begrüßung, Anpfiff und 90 Minuten höchste Konzentration. Nach dem Spiel dann duschen, Aufwandsentschädigung erhalten, Spielbericht ausfüllen und je nach Leistung vielleicht noch etwas zu essen im Klubheim bekommen.
So ging die erste Saison auch mit meinem ersten Aufstieg einher. Direkt zu Beginn der folgenden kam der nächste: Ich wurde in das Perspektivteam aufgenommen, das junge Schiedsrichter auf die höheren Ligen vorbereitet. Neben der monatlichen Schulung im Heimatkreis standen somit auch Lehrgänge in der Fußballschule in Kaiserau auf meinem Plan. Außerdem wurde ich in der Kreisliga B und A eingesetzt sowie als Assistent in der Landesliga. Teilweise kam ich so auf drei Spiele pro Woche, bei denen ich als Schiedsrichter(-assistent) auf dem Feld stand: unter der Woche Senioren, freitags oder samstags Junioren und sonntags wieder Senioren. Das Geld, was ich dabei verdiente, war keinesfalls schlecht, gerade als Schüler fühlte ich mich wie Krösus. Der größere Antrieb kam aber durch die Aussicht auf höhere Ligen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir mein Einsatz als Schiedsrichterassistent in der Damen-Regionalliga, der dritthöchsten in Deutschland. Auch schöne Erinnerungen habe ich an eine A-Junioren Landesligapartie. Das Tempo war enorm hoch, selbst an jenem Sonntagmorgen hatten 100 Zuschauer den Weg zum Platz gefunden. Und im Gegensatz zur Senioren-Landesliga war ich dort noch auf mich allein gestellt. Das war zu Beginn ziemlich anstrengend, aber mit steigender Anzahl an Spielleitungen in der Klasse habe ich dort mitunter die meisten Erfahrungen gesammelt. Die Jugendspieler, die sich überkreislich in Landesligen oder höher tummeln, wissen um ihre eigenen Ambitionen, im Seniorenbereich auch höherklassig zu spielen. Die Motivation ist eine ganz andere. Das merkt man auch als Schiedsrichter. Auch ein heikles Spiel, bei dem ich gegen denselben Verein gleich zwei Feldverweise aussprechen musste, ist mir positiv in Erinnerung geblieben, denn seltsamerweise war auch der Verein zufrieden mit meiner Leistung – kaum vorstellbar nach zwei roten Karten.
Negativ in Erinnerung geblieben ist mir ein Seniorenspiel, bei dem ich hinter meinem Rücken nur ein lautes Klatschen hörte und plötzlich ein Spieler auf dem Boden lag. Es entwickelte sich eine hitzige Spielertraube, aus der ein Spieler auf mich zu kam und behauptete, er wolle mich anzeigen, meine Spielleitung sei ein Witz und so etwas gehöre vor das Sportgericht. Ich war an jenem Abend total verunsichert, bereits vor dem Ereignis und leitete dementsprechend schlecht. Nach Spielende musste ich geschützt von zwei anwesenden Kollegen in die Kabine gebracht werden. Mit ihnen konnte ich wenig später auch meine Leistung analysieren, es war ein hundsmiserables Spiel. Allerdings stellte sich auch heraus, dass der aufgebrachte Spieler selbst seinen Gegner hinter meinem Rücken zu Boden geschlagen hatte. Doch als Schiedsrichter gilt das Prinzip der Tatsachenentscheidung. Ich hatte dies nicht sehen können und durfte folgerichtig keinen Platzverweis aussprechen.
Trotzdem habe ich weitergemacht, sogar mit Spaß. Dieses Gefühl, wenn man den Platz betritt, ist unbeschreiblich. Es hat nichts mit einer sadistischen Veranlagung oder unausgelebten Trieben zu tun, als Schiedsrichter tätig zu sein. Ein gewisses Gefühl der Macht schwingt sicherlich mit, allerdings auch nur solange man sich selbst sicher ist, gute Entscheidungen zu treffen. Und das ist die größte Herausforderung und somit auch der oberste Grund, der mich in diesem Hobby angetrieben hat.
Ob nun schlechte Erfahrungen oder die schönen Seiten dieser Aufgabe, grundsätzlich denke ich gerne zurück an diese fünf Jahre, in denen ich es von der C-Jugend bis zur Senioren-Verbandsliga brachte. Im Sommer 2013 entschloss ich mich dann allerdings schweren Herzens, dieses Hobby an den Nagel zu hängen, da es nicht ganz so einfach war, die Schiedsrichteransetzungen sowohl in der Südpfalz als auch daheim zu koordinieren. Ich würde gerne hier noch weitere Anekdoten zum Besten geben, aber fürs Erste soll die Empfehlung reichen, es selbst mal zu versuchen. Nicht unter dem vielzitierten Vorwand, es doch selbst erstmal besser zu machen als die Bundesligaschiris. Sondern um nachzuvollziehen, was mich in den Jahren so fasziniert hat. Außerdem war die Entlohnung wirklich nicht schlecht: Neben der Fahrtkostenpauschale von 0,30 €/km gab es noch einen Spesensatz, der in der Kreisliga bereits bei 20 € lag und mit der Ligenhöhe stieg. Zum Vergleich: Bundesligaschiedsrichter verdienen 3600 € pro Spiel und das, obwohl sie alle noch einer geregelten Arbeit nachgehen.
[1] Für alle Vorwitznasen: Die Beleidigung durch den Trainer war das erste Vergehen, das zu bestrafen ist. Der Trainer ist dafür aus der technischen Zone und der Spielfeldnähe zu verweisen. Für den Wurf mit der Flasche muss der Spieler mit der Roten Karte des Feldes verwiesen werden. Spielfortsetzung mit einem Schiedsrichter-Ball.
- Artikel aus dem 06|kurier vom WiSe 2016/17 -
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