Germersheim öffnet sich den MINT-Fächern: Ein neues Zeitalter am FTSK beginnt

GER. Es grenzt beinahe an ein Wunder, dass der Fachbereich in Germersheim nach den Eskapaden der vergangenen Semester noch in der altbekannten Form existiert. Dubiose Finanzierungskonzepte durch Drittmittel standen zur Debatte. Das Bestreben um die Unabhängigkeit von der JGU in Mainz machte parallel zu den nationalistischen Bestrebungen in ganz Europa Schlagzeilen, man erlebte einen Orthographie-Skandal ungeahnten Ausmaßes und auch der berüchtigte Diebstahl der roten Dekanatssamtvorhänge ist immer noch nicht aufgeklärt.

 

Der FTSK kann Krise, das ist postfaktisch. Nun gilt es allerdings, sich trotz aller Tiefschläge für den vielzitierten demographischen Wandel zu wappnen. Die zahlenmäßig starken doppelten Abiturjahrgänge sind abgeebbt, die Europäische Union denkt offen darüber nach, das Englische nicht mehr als Sprache einzuordnen, sondern als Grundkompetenz vorauszusetzen. Jeder kann doch also Sprachen, das weiß doch auch die eigene Nachbarin, deren Sohn „auch mal ein paar Monate in Australien war“. Wer sollte da noch auf die beinahe grenzdebile Idee kommen, sich mit einem drei bis fünfjährigen Translations- oder Dolmetschstudium noch weiter auf dem Arbeitsmarkt zu disqualifizieren? Gelder für Forschung und Lehre fließen, wenn überhaupt, nur nach zähem Händeringen und müssen einen praktischen und möglichst kurzfristigen Nutzen haben. Einen Nutzen, den man bei den Geisteswissenschaften meist gar nicht so offenkundig erkennen kann, weil man dazu vermutlich geistige Arbeit verrichten müsste. Ganz anders stehen dafür dann die Naturwissenschaften da. Die JGU in Mainz unterhält beispielsweise einen in Europa einzigartigen hauseigenen Kernreaktor. Auch eine kleinere Version des CERN soll sich unter der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt für Forschungszwecke verbergen. MINT-Fächer sind also allem Anschein nach „sexy“ – und spülen Fördergelder in die Kassen.

 

Nachdem die Geschäftsführung des FTSK die Verhandlungen mit potenten Geldgebern (wir berichteten vergangene Ausgabe) aus der freien Wirtschaft verworfen hat, weil man die Produktplatzierungen am Fachbereich für zu aggressiv hielt, muss also ein anderer kreativer Ansatz her. Das ist soweit verständlich, schließlich wollte ein bayrischer Automobilhersteller den größten Hörsaal doch wahrhaftig „AUDI-Max“ taufen.

 

Deshalb hat der Fachbereich ein Konzept aus zwei Ansätzen entwickelt. Einerseits sollen die naturwissenschaftlichen Anteile der einzelnen Arbeitsbereiche erhöht werden: Hier lässt das Dekanat vermelden, man wolle gar eine Steigerung um 100% erzielen, ausgehend von derzeit 0%. Ziel soll es sein, die angebotenen Veranstaltungen zu den einzelnen Naturwissenschaften wie in der Schule auf den jeweiligen Sprachen zu unterrichten. So heißt es in einer offiziellen Stellungnahme, der Arbeitsbereich Englisch habe in einer fachbereichsinternen Ausschreibung den Zuschlag für alle Bereiche der Biologie und Geographie erhalten. Die französische Abteilung habe sich hingegen der Kernphysik und Chemie verschrieben. Sogar ein Kooperationsvertrag mit dem AKW Philippsburg soll bereits in Aussicht stehen. Dem ist soweit nichts entgegenzusetzen, zahlen doch die höchstbietenden Arbeitsbereiche einen fürstlichen Obolus an den Fachbereich. Es mutet jedoch etwas mulmig an, dass die Sprache einer über die Jahre heruntergekommenen, anti-europäischen Kolonialmacht plötzlich Geographie lehren will und Europas größter Atomkraftbefürworter ausgerechnet Kernphysik und Chemie übernimmt. Beide betroffenen Arbeitsbereiche wollten sich hierzu jedoch nicht äußern, in einer kurzen Stellungnahme teilte man nur mit: „(…) Mit dieser neuen Komponente gewinnen die Fachübersetzungsübungen an Praxis und Authentizität (...)“. Sollte sich diese Verteilung der Themengebiete tatsächlich derart gestalten, dürfte es niemanden mehr verwundern, wenn der Arbeitsbereich Neugriechisch den Zuschlag für Mathematik erhielte. Die Krönung der unmoralischen Millionendeals wäre dann allerdings die Zusage an das Fach Deutsch, demnächst Technik und Ingenieurskunst als Teil der MINT-Offensive übernehmen zu dürfen: Nach dem gescheiterten Großprojekt Germersheim 21 würde sich der Fachbereich damit unfreiwillig die Narrenkappe aufsetzen. Doch der genaue Ausgang der Verhandlungen bleibt abzuwarten.

 

Sicher ist bislang allerdings das zweite Element dieses Konzepts: Nicht nur die Lehre am Fachbereich soll radikal umstrukturiert werden. Auch die Zulassungsvoraussetzungen sollen drastisch modifiziert werden. Will man schon einmal mit MINT-Fächern in Germersheim werben, müssen schleunigst auch die interessierten Schüler an der Quelle rekrutiert werden, am besten noch, bevor diese auf die grausig-geniale Idee kommen, ein Jahr zur Selbstfindung und Sprachverbesserung in Australien einzulegen. Alle Lehrenden – auch die Professoren – wurden deshalb qua Vertrag dazu verpflichtet, mindestens 10 Stunden pro Semester mit Öffentlichkeitsarbeit zu verbringen. Bei diesen Publicity-Auftritten an Schulen in ganz Deutschland soll der Fokus weniger auf dem didaktisch-translationswissenschaftlichen Aspekt liegen – schließlich kann doch jeder so ein paar Vokabeln auswendig lernen –, sondern auf den neuen Möglichkeiten: Durch o.g. Partnerschaft mit Philippsburg könnten Lehrveranstaltungen der französischen Kernphysik mit echten Brennstäben abgehalten werden. Auch das Wasser aus den Abklingbecken müsste nicht mehr in den Rhein geleitet werden, sondern könnte in den Mulden auf dem Campus zwecks Versuchsdurchführungen gelagert werden.

 

Damit sich aber nicht nur MINT-interessierte Schüler von der neuen Offensive des Fachbereichs überzeugen können, sondern auch die sicherlich ebenso interessierten Eltern, umfasst die vertragliche Verpflichtung der Lehrenden zur Öffentlichkeitsarbeit auch die Präsenz auf den jedes Semester stattfindenden Elternabenden. Dort sollen die Besucher über die Lernfortschritte ihrer Sprösslinge informiert werden. Bislang wurden diese Informationen nur in vereinzelten Telefonaten vermittelt, deren Frequenz sich jedoch besonders durch den sehr jungen G8-Jahrgang so dramatisch erhöht hat, dass eine feste Präsenzveranstaltung unausweichlich schien. In vertraulichen Gesprächen mit den Professoren solle dann zum Beispiel festgestellt werden, ob einer der hiesigen Studierenden bei seiner Versetzung in das nächste Semester gefährdet ist oder gar nicht versetzt wird, weil er einfach zu häufig gefehlt hat. Umgekehrt könnten bei solchen Veranstaltungen Fleiß(-ECTS-)punkte für diejenigen Studierenden ausgelobt werden, die sich besonders intensiv mit ihren Hausaufgaben befassen oder eine sehr einfach zu entziffernde Handschrift besitzen.

 

„Germersheim: 80 Nationen, offen für alles!“ - so könnte der neue Slogan lauten, den der Fachbereich der MINT-Offensive verleihen will. Der genaue Wortlaut ist bislang noch nicht bekannt, die hier beschriebenen Details wurden der Redaktion auch nur im Laufe der Ermittlungen zu den Panama-Papers zugespielt. Welche Vorhaben sich also in Zukunft als wahr herausstellen, werden wir sicherlich in der zweiten Jahreshälfte erfahren.

 


- Artikel aus dem 06|kurier vom WiSe 2016/17 -

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