Stephanie Kader ist Diplom-Dolmetscherin und gibt am FTSK Dolmetschkurse für Englisch und Niederländisch.
Ich treffe Frau Kader in Ihrem Büro in der niederländischen Abteilung. Für das Interview setzen wir uns an einen großen Tisch, der in unmittelbarer Nähe der Tür steht: Dort steht ein Kuchentablett mit Muffins. Aber das sind nicht einfach nur Schokomuffins, sie stecken in orangefarbenen Papierförmchen und sind verziert mit herzförmigen Niederlandeflaggen aus Zuckerguss und Schokoladenfußbällen. Welches Land von den Personen in diesem Büro unterstützt wird, scheint also eindeutig geklärt zu sein.
06|magazin: Guten Tag Frau Kader. Bei Ihnen stellt sich natürlich zu allererst die Frage: Sind Sie für Deutschland oder die Niederlande, wenn es um Fußball geht?
S. Kader: Das hatte ich mir fast gedacht, dass die Frage im Laufe des Gesprächs aufkommt. Also ich bin gerne für die Mannschaft, für die da, wo ich bin, nicht alle sind. Das heißt, ich wäre in dem Fall eher für die Niederlande. Natürlich haben wir hier im Büro mit den Kolleginnen schon oft darüber gesprochen, was passieren würde, wenn die Niederlande und Deutschland aufeinandertreffen würden. Das war auch das erste, das die meisten von uns auf dem Spielplan überprüft haben. Ich war dann ganz glücklich, dass wir frühestens im Halbfinale aufeinandertreffen werden, aber selbst dann werde ich Orange tragen.
06|magazin: Spielen Sie auch selbst Fußball?
S. Kader: Ganz gerne ab und an mit meinen Neffen, aber in keinster Weise irgendwie professionell. Also wirklich nur Gartenkickerei mit meinen kleinen Neffen.
06|magazin: Waren Sie schon mal im Stadion
S. Kader: Ich war schon mal im Stadion und es hat mir auch großen Spaß gemacht. Ich habe sogar mal ein Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft gegen die USA gesehen. Aber normalerweise gehe ich nicht ins Stadion.
06|magazin: Hatten Sie ein besonders schönes Erlebnis im Stadion?
S. Kader: Das 4:1 gegen die Amerikaner bei dem Freundschaftsspiel im Westfalenstadion in Dortmund. Das war echt klasse. Ich war zwar leider, muss ich sagen, in der VIP-Lounge, wo die Freude eher verhalten war – ich hätte mich lieber irgendwo in die Südkurve gestellt – aber ich war dort auf einem offiziellen Dolmetschauftrag und konnte deshalb nicht wirklich so… Und die Herren, für die ich gedolmetscht habe, waren wenig enthusiastisch, aber ansonsten war das so mein schönstes Stadionerlebnis.
06|magazin: Das bringt mich auch gleich zur nächsten Frage. Haben Sie auch beruflich mit Fußball zu tun?
S. Kader: Hatte ich eine Zeit lang. Da habe ich ab und zu für einen deutschen Bundesligaverein gedolmetscht. Aber in sehr geringem Umfang und auch nur als Vertretung für jemanden. Von daher kann ich nicht sagen, dass ich da viel Erfahrung habe.
06|magazin: Ist es allgemein schwieriger für weibliche Dolmetscher im Bereich Fußball Aufträge zu bekommen?
S. Kader: Kann ich gar nicht sagen. Meine Erfahrung war dahingehend sehr positiv. Man ist zwar die einzige Frau unter ganz vielen Männern, aber es wurde eher positiv aufgenommen, wenn man dann mit Fachwissen auftrumpfen konnte. Ich habe mich danach auch nie wieder aktiv um Dolmetschaufträge im Bereich Fußball bemüht, da mein eigentliches Fachgebiet eher die Technikbranche ist. Also kann ich nicht wirklich sagen, wie leicht oder wie schwer das dann gewesen wäre, wenn ich es versucht hätte.
06|magazin: Hatten Sie einmal ein besonderes Erlebnis, bei dem Fußball eine gewisse Rolle gespielt hat?
S. Kader: Ja, und zwar sind wir immer schon nach Holland in den Urlaub gefahren, auch meine Großeltern. Für die Generation meiner Großeltern war das natürlich ganz besonders schwierig, am Anfang auch Kontakt zu knüpfen mit den gleichaltrigen niederländischen Bewohnern dieses Campingplatzes. Das ist dann aber geglückt, dass also auch Menschen, die sich vor gar nicht allzu langer Zeit noch im Krieg gegenüber gestanden hatten, auch Freundschaften geknüpft haben. Und ich weiß noch das Geerund mein Opa zusammen immer Fußball geschaut haben. Sie haben also auch das Spiel gesehen, in dem Frank Rijkaard Rudi Völler in die Haare gespuckt hat. Ich weiß noch, dass Geer aufstand und sagte (mit einem total goldigen niederländischen Akzent in seinem Deutsch), „Hans, unsere Freundschaft ist mir mehr wert als Fußball, ich geh‘ bei mir weitergucken“. Beide waren sehr begeisterte Fußballfans und da spielte Deutschland ausgerechnet gegen Holland. Sie haben sich sehr beherrscht, ihre Freundschaft jetzt nicht durch eine Fußballrivalität aufs Spiel zu setzen, und danach war auch alles wieder, als wäre nie etwas passiert. Das fand ich einfach nur sehr bezeichnend, dass Fußball, der ja sehr polarisierend sein kann, der Freundschaft da keinen Abbruch getan hat. Und in der Zeit habe ich auch tatsächlich sehr viel Fußball gespielt, weil wir als Jugendliche auf dem Campingplatz dann immer Deutschland gegen Holland nachgespielt haben. Auch wenn während der Welt- oder Europameisterschaft die Mannschaften gar nicht aufeinander getroffen waren
06|magazin: Und wer hat da meistens gewonnen?
S. Kader: Meistens die niederländischen Jugendlichen, weil die einfach in der Überzahl waren. Zum Teil hatten die auch Vereinserfahrung. Aber auch da herrschte eigentlich keine Animosität, das war einfach nur zum Spaß.
06|magazin: Haben Sie auch einen Lieblingsverein?
S. Kader: Nein, nicht wirklich. Also ich habe, was die Bundesliga angeht oder auch die Ligen anderer Länder, überhaupt keine Ahnung, muss ich sagen. Ich bin ein großer Fan der deutschen Nationalmannschaft, unabhängig von meinen Oranje-Loyalitäten. Aber ansonsten nein, in der Bundesliga oder sonst wo habe ich keinen Lieblingsverein. Man hat ja sonst manchmal schon mal den Lieblingsverein in der Stadt, aus der man kommt, aber ich komme aus Bonn… Ich glaube der Bonner SC spielt, wenn ich mich nicht vertue, in der Kreisliga und mit dem hatte ich auch nie was zu tun. Und als Bonner ist man eigentlich eher selten Fan des 1. FC Köln. Das heißt, da hatte ich eigentlich auch nie irgendwelche Bezüge zu.
06|magazin: Haben Sie denn einen Lieblingsspieler?
S. Kader: Lieblingsspieler… Nein, kann ich eigentlich auch gar nicht sagen. Ich habe jetzt wieder gemerkt, als die Weltmeisterschaft anfing, dass ich erstmal gucken musste, wer eigentlich wer ist. Es gibt einige Spieler mit hohem Wiedererkennungswert, weil man die Namen einfach schon oft gehört hat. Also klar kennt man Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger und wie sie alle heißen, aber dass ich da jetzt einen über den anderen bevorzugen würde… Also gerade jetzt letzte Woche war ich sehr dankbar für Manuel Neuer, weil er einfach ein toller Torwart ist, aber dass er jetzt mein Lieblingsspieler sei… Ich würde mir jetzt kein Poster von ihm aufhängen…
06|magazin: Wo waren Sie als Deutschland 1990 das letzte Mal Weltmeister wurde?
S. Kader: Oh je… Das weiß ich gar nicht mehr. Wahrscheinlich war ich in Holland auf dem Campingplatz, weil die Welt- und Europameisterschaften ja immer im Sommer und meistens in den Schulferien stattfinden. 1990, wie alt war ich denn da? Das ist ja 24 Jahre her. Ich vermute, ich war wirklich in Holland im Urlaub, weil wir wirklich in jeden Schulferien dort waren. Ich kann mich aber ehrlich gesagt nicht mehr daran erinnern.
06|magazin: Was ist für Sie das Besondere an einer WM?
S. Kader: Das hat sich ein bisschen geändert. Früher war die WM einfach nur eine Entschuldigung, mit andern Leuten zu feiern und Spaß zu haben. Inzwischen hat sich das für mich etwas geändert. Ich fand die Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 sehr einschneidend, denn da hat sich das… ich nenne es mal Patriotismusgefühl auch so ein bisschen verändert. Ich kenne das teilweise für deutsche Befindlichkeiten etwas übertrieben anmutende Patriotismusgefühl der US-Amerikaner, weil ich dort zwei Jahre gelebt habe; ich bin aber auch in der Generation aufgewachsen, in der man sich einfach keine deutschen Fahnen ans Haus hing. Das ging gar nicht, wenn man nicht einer gewissen Geisteshaltung angehörte. Und ich hatte das Gefühl, dass es bei der Weltmeisterschaft 2006 das erste Mal gesellschaftlich akzeptiert wurde, dass man mit Fähnchen durch die Gegend lief, oder dass man sich Schwarz-Rot-Gold ins Gesicht malte, ohne dass da direkt der Subtext war: „Ich bin rechts“. Das genieße ich bei Weltmeisterschaften, dass man mal ungeniert patriotisch sein kann. Also auch völlig unpolitisch, denn ob ich jetzt Fan von Angela Merkel bin oder nicht, ist völlig egal, wenn ich mit meinem Fähnchen vorm Fernseher sitze, und das finde ich einfach sehr erfrischend. Ich kannte das vorher so nicht.
06|magazin: Wo gucken Sie denn am liebsten die WM? Beim Public Viewing oder lieber alleine vorm Fernseher oder mit Freunden?
S. Kader: Sowohl als auch. Alleine vorm Fernseher eher nicht, das ist langweilig. Also es kommt natürlich auf das Spiel an, aber wenn die Mannschaften, an denen ich Interesse habe spielen, dann gerne auch mit Freunden. Public Viewing bin ich auch nicht abgeneigt, gerade hier in Kneipen oder so. Wobei ich da aber auch nicht so diese Riesenveranstaltungen bevorzuge, ich bin kein großer Freund von Menschenmassen. Gemütlich im Café sitzen finde ich da angenehmer. Aber Freunde gehören auf jeden Fall dazu.
06|magazin: Und noch eine letzte Frage: Wer wird Weltmeister?
S. Kader: Holland.
06|magazin: Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Michaela Montag.