Nachgefragt: WM Spezial, Teil III

Seit einer Woche rollt der Ball bei der Fußball-WM 2014, Zeit für Teil III unserer Serie.
Diese Woche: Prof. Bernd Meyer


06|magazin: Guten Tag, Herr Prof. Meyer, die WM hat begonnen. Verspüren Sie schon Vorfreude?

 

Meyer: Eher gemischte Gefühle. Ich fühle mich der Protestbewegung in Brasilien sehr verbunden und habe dort Freunde, die zur nicht privilegierten Schicht gehören. Aus politischer Sicht ist ein solches Event skandalös, denn es gibt Ressourcenverschiebungen und Korruption. So schön die WM für die Welt ist, so sinnlos kann sie für die Bevölkerung in den Gastgeberländern sein, wenn das Geld in Stadien investiert wird, obwohl es andere infrastrukturelle Projekte gibt, die dringend Unterstützung benötigen. Auf die Spiele selbst freue ich mich natürlich schon.

 

06|magazin: Könnte Brasilien nicht auch von der WM profitieren?

 

Meyer: Vordergründig schon durch die Aufmerksamkeit, die eine WM weltweit auslöst, und den Tourismus. Aber von alldem profitiert Brasilien ja bereits jetzt. Eine große weltpolitische Bedeutung hat das Land ohnehin. Kurzfristig wird die WM sich sicherlich positiv auswirken, langfristig sehe ich das nicht so positiv.

06|magazin: Kommen wir zu Ihrem persönlichen Fußballbezug: Spielen Sie eigentlich selbst Fußball?

 

Meyer: Ich habe nie im Verein gespielt, aber in der Freizeit spiele ich schon, mal mehr, mal weniger. Ich habe auch eine Dauerkarte für den FC St. Pauli…

 

06|magazin: Das wäre auch meine nächste Frage gewesen. Dass Sie St.Pauli-Fan sind, kann man Ihrer Homepage entnehmen. Wie kam es dazu?

 

Meyer: Weil St. Pauli die einzige Möglichkeit ist, wie Meister Yoda mal gesagt haben soll. Aber im Ernst: Das liegt bei uns in der Familie. Mein Großvater und mein Vater waren Pauli-Fans, der Verein ist bei uns einfach eine Tradition, zu der jede Generation ihren eigenen Bezug hat. Mein Großvater war in der Hinsicht sicher der Radikalste. Der wäre nie zum Hamburger SV gegangen (schmunzelt). Darüber hinaus ist Fußball auf St. Pauli seit Ende der Achtziger Jahre auch stark verbunden mit den sozialen Bewegungen im Stadtteil. Ein weiterer Grund, den Verein zu unterstützen und nicht den anderen Verein mit dem unaussprechlichen Namen (Anm. der Red..: den HSV).

 

06|magazin: Da wäre es in dieser Saison ja beinahe zum Derby zwischen HSV und St. Pauli gekommen…

 

Meyer: Ja, das stimmt. Vielleicht ist es besser, dass es nicht dazu gekommen ist. Das wäre dann in der Relegation gewesen. Dafür hat St. Pauli nicht stabil genug gespielt. Das letzte Derby haben wir zwar gewonnen, aber danach ging die Saison den Bach runter.

 

06|magazin: Was war Ihr schönstes Stadionerlebnis?

 

Meyer: Hm… das schönste Stadionerlebnis (überlegt). Das kommt darauf an, was man unter schön versteht. Es gibt natürlich so spektakuläre Spiele, an deren Ende ein Sieg zu Buche steht. Da fällt mir ein DFB-Pokalspiel zwischen St. Pauli und Hertha BSC in der Saison 2005/06 ein. Damals war Pauli noch in der dritten Liga und hatte vorher schon ein paar Gegner besiegt. Kurz vor Ende erzielte Robert Palikuca einen spektakulären Kopfball-Treffer, bei dem er einen ganzen Block von gegnerischen Spielern übersprang. Es war das 4:3 für St. Pauli in der Verlängerung. Hinter mir stand ein Pärchen und nach dem Tor sagte die Frau zu dem Mann, den sie gerade erst kennen gelernt hatte: Lass uns Kinder machen, wir haben gewonnen! Das war so skurril! Ich war damals selbst gerade Vater geworden. Ich hatte gar keine Karte für das Spiel und bin spontan zum Stadion gefahren, wo ich einem Hertha-Fan das Ticket abgekauft habe.

 

06|magazin: Haben Sie einen Lieblingsspieler und wenn ja, warum genau diesen?

 

Meyer: Ein absoluter Publikumsliebling bei St. Pauli ist Fabian Boll, weil er als einer der wenigen Fußballprofis noch einem geregelten Job nachgeht. Er ist Polizist. Einer, den ich als Jugendlicher schon immer toll fand, ist Horst Hrubesch, obwohl er beim HSV gespielt hat. Er war als Spieler ein Tier, einer vor dem andere Spieler Angst hatten. Aber er hatte diese Aggressivität, ohne dabei arrogant zu sein oder jemanden zu verletzen. Es gab in Hamburg sogar mal eine Punkband, die sich „Hrubesch Youth“ nannte.

 

06|magazin: Wo waren Sie, als Deutschland zum letzten Mal Weltmeister wurde?

Meyer: Wann war das überhaupt?

 

06|magazin: 1990 in Italien.

 

Meyer: Ja, stimmt. Das war kurz nach der Wiedervereinigung. Da wohnte ich noch auf St. Pauli. Ich erinnere mich, wie Deutschland-Fans nach dem Spiel durch Hamburg gezogen sind. Es gab ausländerfeindliche Auseinandersetzungen, teilweise zwischen Linken und Rechten. Die, die unter meinem Fenster vorbeiliefen, haben die erste Strophe der Nationalhymne („Deutschland, Deutschland, über alles“) gesungen. Ich bin bei Weltmeisterschaften schon für die deutsche Nationalmannschaft. Aber diese Stimmung von damals ist mir sehr negativ in Erinnerung geblieben. In den Jahren danach brannten nach rassistischen Anschlägen Häuser und Menschen in Rostock, Mölln und Solingen, und dieser sich überschlagende Nationalismus hatte daran einen Anteil.

 

06|magazin: Gab es für Sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine WM, die hervorstach, die sie besonders fanden?

 

Meyer: Da würde ich sagen, die WM 2010 in Südafrika. Die war zwar fußballerisch nicht so spannend. Aber ich habe wissenschaftliche Kontakte und auch Freunde in Südafrika. Als ich kurz vorher im Land war, herrschte große Aufregung im Vorfeld des Turniers. Dazu muss man wissen, dass Fußball in Südafrika bis dato der Sport der schwarzen Mehrheit war und von den Weißen als, sagen wir, eine Art Proletensport angesehen wurde. Fußball stand im Kontrast zu den „weißen“ Sportarten wie Rugby oder Cricket. Die Segregation ist dort immer noch spürbar. Südafrika ist ein Beispiel dafür, dass eine WM etwas Positives in einem Land bewirken kann. Sie hat den Fußball nach vorne gebracht und es war interessant zu sehen, wie die weiße Bevölkerung plötzlich Feuer und Flamme für das runde Leder war. In dieser Hinsicht hat der Fußball etwas Verbindendes.

 

06|magazin: Ein Sport, der Völker und Nationen miteinander verbindet?

 

Meyer: Ja, auf jeden Fall. Natürlich gibt es auch die rassistische und homophobe Drift in den Stadien. Von der Anlage her ist Fußball ja so etwas wie eine mildere Form von Krieg. Es kann deshalb auch schnell in die falsche Richtung kippen. Wenn Konkurrenz allerdings rein spielerisch und ironisch gebrochen ausgetragen wird, kann das auch positiv sein. Zum Beispiel niederländische Fans in Orange, die sich über die Deutschen lustig machen. Eine gewisse Konkurrenz und Rivalität ist ja auch positiv und belebt den Fußball.

 

06|magazin: Zum Abschluss noch die Frage: Wie gucken Sie die WM? Beim Public Viewing, mit Kumpels bei einem Bier oder alleine vor dem Fernseher?

 

Meyer: Das kommt auch auf die Uhrzeit an. Natürlich mit meiner Familie vor dem Fernseher. Nicht so sehr beim Public Viewing, aber ich gehe auch gerne mal in eine Kneipe, in der man dann etwas essen und dabei die Spiele auf den Bildschirmen anschauen kann.


06|magazin: Und wer wird Weltmeister?

 

Meyer: Puh, ich habe mich ehrlich gesagt gar nicht so intensiv mit allen Mannschaften beschäftigt. Mein Favorit ist Brasilien. Sie stehen einerseits im eigenen Land in der Pflicht, Weltmeister zu werden, und haben andererseits auch das spielerische Potenzial dafür. Als Geheimtipp nenne ich Belgien. Das Schöne an einer WM ist ja auch, dass im Laufe des Turniers so viel passieren kann und bei Mannschaften eine Entwicklung zu sehen ist. Die Deutschen sind immer für einen dritten Platz gut, den ich übrigens nicht als Misserfolg sehen würde. Manchmal spielt man ein richtig gutes Turnier, aber für den letzten Schritt reicht es dann eben nicht. Auch ein vierter Platz wäre ein schöner Erfolg.

 

06|magazin: Vielen Dank für das Interview, Herr Meyer.

 

Das Interview führte Alexander Brück.

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