Endlich ist es so weit: Heute Abend um 22h MESZ fällt mit dem Eröffnungsspiel Brasilien – Kroatien der Startpfiff zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. 32 Teams werden sich an 12 Spielorten der Herausforderung stellen und alles daran setzen, das Runde ins Eckige zu befördern. Um schon mal für heute Abend in Fußballstimmung zu kommen, folgt nun Teil II unserer Serie.
Teil II: Dr. Marcel Vejmelka
Viele kennen ihn aus Spanisch- oder Portugiesischkursen, und wer von uns schon einmal im Ausland studiert hat, kennt ihn als Leiter des Akademischen Auslandsamts. In der Fußballreihe des 06|magazins dreht sich aber alles ums runde Leder: Marcel Vejmelka erzählt im Interview von den Besonderheiten einer WM, einem Kindheitstrauma und was es bedeutet, Fußballseminare an einer Frauenuni zu geben.

06|magazin: Wie kamen Sie mit dem Fußball in Kontakt?
Vejmelka: So natürlich, dass ich es nicht datieren kann. Als ich ein Kind war, wohnten wir in einer Siedlung mit relativ großen Rasenflächen zwischen den Häusern und seit ich mich erinnern kann, spielte ich mit den Freunden aus der Nachbarschaft dort Fußball. In der Grundschule war Fußball fast die einzige Pausenbeschäftigung und die Klassenspiele waren Großereignisse von riesiger Bedeutung. Als ich sieben oder acht war, bekam ich einen gebrauchten Tango geschenkt… orange… ein innig geliebter Ball. Bundesligakonferenz am Radio war samstägliche Routine, Stadionbesuche zunächst etwas ganz Besonderes, dann angenehme Gewohnheit.
06|magazin: Spielen Sie selbst Fußball?
Vejmelka: Nein, weil es Sport ist. Und in der C-Jugend im Dorfverein wurde ich nie aufgestellt. Es ist ein Kindheitstrauma.
06|magazin: Gehen Sie ins Stadion?
Vejmelka: Ja, aber zur Zeit leider viel zu selten, weil mein Sohn noch nicht alt genug ist und ich ihn laut Familie noch nicht mitnehmen darf. Da muss ich noch etwas warten.
06|magazin: Was war Ihr schönstes Stadionerlebnis?
Vejmelka: (überlegt) Das beeindruckendste Erlebnis war ein Stadtderby in Belo Horizonte, Brasilien, mit knapp 100 000 Zuschauern im Stadion, die eine Hälfte blau, die ander schwarz-weiß. Der Oberrang schwankte wirklich 90 Minuten lang. Auch das Gruppenspiel Deutschland gegen Ecuador in Berlin bei der WM 2006 war etwas Besonderes. Das schönste Erlebnis war mit neun oder zehn Jahren das erste Abendspiel im Wildpark (Anmerkung der Redaktion: dem Heimstadion des Karlsruher SC). Das Ergebnis war 3:0 gegen Fortuna Düsseldorf, das weiß ich interessanterweise immer noch.
06|magazin: Und ein besonderes Fußballerlebnis?
Vejmelka: Das ist schwer zu sagen. Es gibt eher viele Abstiege, die ganzen Dramen… Da gab es kein herausragendes Erlebnis.
06|magazin: Welcher ist Ihr Lieblingsverein?
Vejmelka: Voller Überzeugung und trotz allem: Der KSC. Auch trotz und wegen der linksrheinischen Lage von Germersheim!
06|magazin: Haben Sie einen Lieblingsspieler und wenn ja, warum genau diesen?
Vejmelka: Ich bin in der Nähe von Karlsruhe aufgewachsen und war als kleiner Junge immer schön beim Training der 2. Liga und habe fleißig Autogramme gesammelt, von Rudi Wimmer, Michael Harforth, Uwe Dittus… Da kommt man nicht mehr raus, das prägt einen fürs Leben. Ein Lieblingsspieler, das ist schwer zu sagen. Wen ich noch aus seiner Anfangszeit beim KSC sehr gerne mag, ist Mehmet Scholl. Und trotz seines Wechsels zu Bayern, und auch jetzt als Fernsehexperte. Ansonsten noch Godfried Aduobe wegen seines Namens. Es gibt so viele… Aufgrund seiner sehr eigenwilligen Art Romário (de Souza Faria, Anm. der Red.), und auch, weil er bei Vasco (Clube de Regatas Vasco da Gama, Anm. der Red.) gespielt hat. Und wenn es darum geht, den größten zu nennen, unabhängig von allem, ist es Garrincha.
06|magazin: Wo waren Sie, als Deutschland zum letzten Mal Weltmeister wurde (1990)?
Vejmelka: In der Grundschule (lacht). Nein… (überlegt lange) Ich glaube, ich habe es mit meinen Eltern geguckt. Damals gab es das noch gar nicht, so draußen und Public Viewing. Das Lustige ist, dass ich nach der WM zum ersten Mal in Brasilien war, und der erste Kontakt mit den Zöllnern am Flughafen war: „Herzlichen Glückwunsch zur Weltmeisterschaft und danke, dass ihr Argentinien geschlagen habt!“ Die waren sehr dankbar.
06|magazin: Was ist für Sie das Besondere an einer WM?
Vejmelka: Die Besonderheit des Turniers ist, dass es immer eine ganz eigene Dynamik entwickelt und sich daraus viele kleine Geschichten ergeben. Bei den letzten Großturnieren habe ich versucht, alles zu gucken und die Grundlagen zu sehen, auf denen bestimmte Mannschaften ihre Spiele aufbauen und welchen Aussagecharakter sie für das Turnier haben. Am faszinierendsten finde ich den Fokus, der auf viele der teilnehmenden Mannschaften gelegt wird, und welche Erwartungen man an die Mannschaften, an die Favoriten des Turniers, hat. Und was passiert, wie sich die Gruppen entwickeln.
In dieser Hinsicht ist die WM 2002 die schönste gewesen. Das 8:0 am Anfang und dann wurde Deutschland Zweiter, die Entwicklung der Rumpeltruppe, wie sie genannt wurde, war sehr unterhaltsam. Aber auch der umgekehrte Fall: Wenn kleine Mannschaften es schaffen, von Runde zu Runde weiterzukommen, wie es Kamerun 1990 gemacht hat, oder 2002 die Koreaner. Diese großen Dramen gibt es nur bei einer WM. Plus vor allem die großen gegen die kleinen (Fußball-)Nationen, besonders wenn die kleinen gewinnen, hat das etwas.
06|magazin: Wie gucken Sie die WM? Beim Public Viewing, mit Kumpels bei einem Bier oder alleine vor dem Fernseher?
Vejmelka: Nach jetzigem Planungsstand familienbedingt viel zu Hause. Ich bin froh, dass die Deutschlandspiele relativ früh kommen, damit der Kleine auch mal Deutschland spielen sehen kann. Gelegentlich aber hoffentlich auch mal draußen mit anderen Leuten.
06|magazin: In diesem SoSe geben Sie bereits ihr zweites Fußballseminar, Fußballkulturen Lateinamerikas. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Fußballseminar anzubieten, und das ausgerechnet an einer „Frauenuni“ wie Germersheim?
Vejmelka: Gerade deshalb. Weil Kollegen immer wieder sagten, dass es in dem Umfeld bei dem hohen Frauenanteil nicht ginge. Aber man merkt, dass wir gar nicht so stark in traditionellen Rollenbildern gefangen sind, was das Interesse am Fußball betrifft. Und ich habe es nicht eingesehen, warum man bestimmte Themen wissenschaftlich bearbeiten „darf“ und andere weniger oder gar nicht. Gerade in Bezug auf Lateinamerika ist der Fußball ein Schlüsselelement für das Verständnis der Kulturen.
06|magazin: Sind die Seminare gut besucht? Und wie sieht es mit den Geschlechterrollen aus? Sitzen mehr Jungen oder Mädchen in den Seminaren?
Vejmelka: Beide Seminare waren über der normalen Teilnehmerzahl. Es sind schon mehr Jungs in den Seminaren - das klingt blöd, ist aber so. Sie haben aber nicht unbedingt einen signifikant besseren Zugang zum Thema. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber manche Jungs denken „Was ist schon Fußball? Das wird ein leichtes Seminar…“, der Geschlechterbonus scheint da nicht zu funktionieren.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass das Thema gut ankommt und auch wirklich ernsthaft bearbeitet wird. Deshalb habe ich mit Frau Schrader-Kniffki im Vorfeld der WM die Tagung zum Fußball in Brasilien organisiert. Das Fazit ist genau so positiv. Ein schöner Nebeneffekt der Tagung war, dass sich ein paar Kollegen als fußballinteressiert oder –begeistert geoutet haben. Und wir wollen auf der Ebene weiter engagiert bleiben, Stichwort: EM 2016.
06|magazin: Schlussfrage: Wer wird Weltmeister?
Vejmelka: Möchte oder glaube ich? (lacht). Möchten ist klar, glauben… Eigentlich Deutschland, aber die Zweifel nagen. Es stellt sich kein Bauchgefühl dafür ein, aber das könnte auch ein gutes Zeichen sein. Es fehlt der Glaube. Brasilien bitte nicht!
06|magazin: Wieso nicht?
Vejmelka: Weil sie mit sechs Titeln noch unerträglicher werden würden, als sie es jetzt schon sind. Und weil die ganzen Probleme der WM in Brasilien damit kaschiert werden könnten. Diese Gefahr bestünde. Dann habe ich so ein Bauchgefühl, vielleicht ist das auch ein böser Wille, dass sich die Geschichte wiederholt… Mein Tipp wäre Uruguay, aber das wäre ein sehr finsteres Bauchgefühl (Anm. der Red.: Im Endspiel der WM 1950 in Brasilien besiegte das bis dahin eher unauffällige Uruguay den hoch favorisierten Gastgeber, dem schon ein Unentschieden für den Weltmeistertitel gereicht hätte, in den letzten zehn Spielminuten im ausverkauften Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro mit einem 2:1. Es ging als Maracanaço (pt.: „Der Schock von Maracanã“) in die Geschichte ein). Vielleicht lese ich auch einen Roman in die WM, aber das wäre sehr tragisch, von außen betrachtet fast schon episch. Die Uruguayer wollen in Brasilien gewinnen – vielleicht mehr noch als die Argentinier –, das könnte übernatürliche Kräfte freisetzen.
06|magazin: Vielen Dank für das Interview.
Zarina Brückner
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