Der Vorhangraub und seine Auswirkungen
Aufgrund der nach wie vor sehr undurchsichtigen Sachlage möchte der 06|kurier der eigenen Leserschaft die Hintergründe und Auswirkungen des Vorhangdiebstahls näher erläutern. Dazu haben wir Meinungsäußerungen mehr oder weniger prominent Beteiligter zusammengetragen, die teilweise dermaßen streng geheim sind, dass jene Personen vielleicht gar nicht mehr wissen, was sie gesagt haben. Um den dramatischen Verlauf besser darstellen zu können, haben wir vom 06|kurier uns dazu entschieden, ihn in chronologischer Reihenfolge abzubilden:
Tag 1:
- Dekan Schreiber schließt frühmorgens um 13 Uhr das Dekanat auf und wundert sich über die hochstehende Sonne und die Staubschicht auf den Möbeln. Schlagartig wird ihm klar, was passiert ist. Über den Flur des Altbaus tönt echoartig ein lauter Schmerzensschrei: „Wo sind meine Vorhänge?!“
- In einer eilig einberufenen Krisensitzung wird der Geschäftsführer damit beauftragt, den inzwischen zu Weltruhm gelangten Jogustine-Hilferuf zu verfassen.
- Am späten Abend treffen Polizei und Spurensicherung auf dem Campus ein und sichern erste Beweisstücke. Verdächtige Fingerspuren am Fenstergriff lassen sich einem französischen Staatsbürger zuordnen. In der Nacht stellt sich mittels grenzüberschreitender Zusammenarbeit heraus, dass es sich dabei um einen französischen Fensterbauer handelt, der 1947 die Fenster eingesetzt hatte. Seither wurden sie offensichtlich nicht mehr geöffnet.
Tag 2:
- Im Audimax ruft die Hochschulleitung um 8 Uhr eine Vollversammlung (VV) aller Mitarbeiter und Studenten ein. Da um diese Uhrzeit noch ganz Germersheim im Bett liegt, dürfen sich alle vier teilnehmenden Studenten die VV als Wahlpflichtmodul anrechnen lassen.
- Die Ansprache des Dekans im Wortlaut: „Am gestrigen Tage ist der FTSK Germersheim von einem heimtückischen und menschenverachtenden Verbrechen heimgesucht worden. Wir haben diese Eskalation nicht gewollt, sie wurde uns von außen aufgezwungen. In dieser schweren Stunde sage ich Ihnen klar und unmissverständlich: Mit Terroristen wird nicht verhandelt. Wir werden sie finden und zur Verantwortung ziehen. Pardon wird nicht gegeben!“
Tag 3:
In Berlin tritt der Bundestag zu einer Aktuellen Stunde zusammen, um die jüngsten Entwicklungen in Germersheim zu besprechen. Folgende Äußerungen wurden hierbei überliefert:
- Angela Merkel: „Obwohl die Vorhänge stets mein vollstes Vertrauen genossen haben, war ihr Verschwinden letztlich offenbar alternativlos.“
- Peer Steinbrück: „Ich würde nie in meinem Leben einen roten Samtvorhang für unter 5 Euro kaufen. Für einen Vortrag bei einem Vorhanghersteller erkläre ich mich jedoch umgehend bereit.“
- Jürgen Trittin: "Seit den 1980er Jahren kämpfen wir bereits für ein Vorhang-Endlager. Klimagerechtigkeit wird sich nicht durch ein mehr, sondern nur durch ein weniger an Vorhängen herstellen lassen."
- Gregor Gysi: „Dieser Diebstahl ist auch eine Folge prekärer Arbeitsverhältnisse und der menschenverachtenden Agenda-Politik. Hier zeigt sich wieder einmal die soziale Schieflage der Bundesrepublik: Das Dekanat leistet sich Samtvorhänge, während der kleine Mann froh ist, wenn er überhaupt ein Fenster in seiner Wohnung hat. Vorhänge aller Länder, vereinigt euch.“
- Rainer Brüderle: „Ein Jammer. Diese Samtvorhänge konnten ein Fenster auch ausfüllen.“
Tag 4:
Inzwischen melden sich immer mehr nationale wie internationale Entscheidungsträger in der Vorhang-Causa zu Wort. Hier ein Überblick der wichtigsten Stimmen:
- Wladimir Putin: „Niemand sollte sich in die inneren Angelegenheiten souveräner Dekanate einmischen.“
- Joachim Gauck: „Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erleben wir heute womöglich einen weiteren großen Augenblick der Freiheit in der Bundesrepublik.“
- Matthias Platzeck: „Die Inbetriebnahme der neuen Vorhänge wird voraussichtlich auf Ende 2020 verschoben werden müssen.“
- Horst Seehofer: „In Bayern würde nie eine Abgeordneten-Mitarbeiterin auf die Idee eines solchen Diebstahls kommen. Wer beklaut denn schon die eigene Familie?“
- Peter Scholl-Latour: „Ich kenne den Krisenherd seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Letztlich handelt es sich hier um einen Stammeskonflikt, der auf Kain und Abel zurückgeht. Sollten die USA intervenieren, werden sie ein zweites Vietnam erleben. Die Germersheimer sind ein kriegerisches Volk.“
- Alice Schwarzer: „Dieser Vorhang war natürlich auch ein Phallus-Symbol. Am Verlauf dieser Angelegenheit sieht man einmal mehr die Dominanz des Patriarchats. Ich verlange einen #aufschrei, da Vorhänginnen nicht explizit genannt, sondern wieder einmal nur mitgemeint werden. Deshalb schlage ich das geschlechtsneutrale Wort ‚die Vorhängenden’ vor.“
- Silvio Berlusconi: „Ich habe mehrere Dutzend Quadratmeter Vorhänge zuhause, die ich seit der letzten Bunga-Bunga-Party sowieso ausmisten sollte. Irgendjemand Interesse?“
Tag 5:
Noch immer ist der Vorhang weltweit in aller Munde:
- Thomas de Maizière: „Vielleicht könnte man der Euro-Hawk-Drohne ein Testgelände über Germersheim zuweisen. Fliegen kann sie zwar nicht, aber die Vorhänge könnten sie vielleicht auch vom Boden aus entdecken.“
- Uli Hoeneß: „Bei meiner Schweizer Bank wären die Vorhänge nicht abhanden gekommen.“
- Barack Obama: „In dieser historischen Stunde möchte ich einen meiner Vorgänger im Präsidentenamt zitieren. Schon im Jahr 1987 richtete sich Ronald Reagan bei einem Staatsbesuch in Germersheim an den damaligen Dekan und sagte: „Tear down this curtain!“
- Steven Spielberg: „Ich spiele mit dem Gedanken einer Verfilmung dieser Angelegenheit und arbeite bereits an mehreren Drehbüchern. Folgende Filmnamen sind in der engeren Auswahl: Der Vorhang, der zuviel wusste, Vier Vorhänge für ein Halleluja, Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, den Vorhang zu lieben, King Kong und der rote Vorhang, Rat mal, wer den Vorhang hat, Das Schweigen der Vorhänge sowie Vorhang Wars V: Das Dekanat schlägt zurück.“
- Edmund Stoiber: „Wir, äh, haben dann einen Unterschied zwischen einem normal sich verhaltenden Vorhang, einem, äh, Schad-Vorhang und dem, äh, Problem-Vorhang. Es ist deshalb, äh, ganz klar, dass der Freistaat Bayern handeln muss, wenn der Problem-Vorhang innerhalb unserer, äh, Landesgrenzen gesichtet wird. Deshalb muss der Problem-Vorhang umgehend abgeschossen werden.“
Zwei Wochen später in der Facebook-Gruppe Tauschbörse am FTSK: „Biete rote Samtvorhänge für zwei Mensamarken…“
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