Die vergangene Woche war geprägt durch eine Auseinandersetzung um die Rolle möglicher politischer Interessen bei der Senatswahl. Der Kritik eines Germersheimer Studenten folgte umgehend die Reaktion eines Vertreters der angesprochenen Mainzer Hochschulgruppe; selten zuvor haben zwei Artikel für derartige Gemütswallungen gesorgt. Womöglich standen sich dabei aber nicht nur zwei divergierende Meinungen gegenüber, sondern vielleicht sogar zwei ganz unterschiedliche Betrachtungsweisen darüber, wie studentisches Engagement an einer Hochschule aussehen kann. In diesem Zusammenhang möchte das 06|magazin einen Artikel aus der TransKult – dessen Vorgängermagazin – vom Januar 2011 erneut veröffentlichen. Er stammt aus der Feder des damaligen StuPa-Präsidenten und beleuchtet die Besonderheiten des „Germersheimer Modells“ im Vergleich zu anderen Universitäten. Wortlaut und Interpunktion wurden unverändert beibehalten.
Dass unser Fachbereich in Germersheim ein Mikrokosmos der ganz besonderen Art ist, dürfte jedem von uns nach kurzer Zeit hier klar geworden sein. Es soll Erstsemester geben, die noch immer nach der eigentlichen „Stadt“ suchen, in welcher der FTSK angeblich residiert, unser Mutterschiff in Mainz ist über 100 Kilometer entfernt und in Germersheim mag sich womöglich der einzige Campus weltweit befinden, auf dem man sich dank einer Fläche von gefühlten 500m² tatsächlich nicht verlaufen kann. Man könnte dieses Kuriositätenkabinett unendlich erweitern und sich weiterhin über dies und das lustig machen… und doch zeichnet den Germersheimer Fachbereich etwas aus, wovon viele Universitäten in Deutschland nur träumen können (und in vielen Fällen träumen sollten!): die völlige Abwesenheit einer wie auch immer politisch gearteten Studentenschaft!
Das beginnt schon beim eigentlichen Wort Studentenschaft! Fast überall in der deutschsprachigen Hochschullandschaft wäre der Begriff ein absolutes „No-Go“: Wer Student sagt, ist mindestens Sexist, eher Rassist, vor allem aber von einem völlig antiemanzipatorischen und deshalb menschenverachtenden Weltbild durchdrungen! Klingt komisch? Ist aber real existierender StuPa- und AStA-Sprech. Die Hauptaufgabe jener Gremien scheint in den meisten Unis darin zu liegen, sich zunächst einmal um die sprachliche Gleichstellung von Männern, Frauen, Einhörnern und Wolpertingern zu sorgen! In einer österreichischen Uni, so teilte mir kürzlich eine Freundin aus Wien mit, wird jeder im Parlament mit Trillerpfeife niedergepfiffen, der das Wort Studenten auch nur in einem Nebensatz ausspricht, und sich dem Konstrukt Studierende verweigert.
Vielleicht liegt es am Rausch der Macht, an der Illusion, wichtig zu sein, dass viele Asten sich aufspielen, als seien sie tatsächlich die Exekutive aller an einer Hochschule eingeschriebener Studenten. Wahlbeteiligungen bei Hochschulwahlen um die 10% lassen zumindest demokratietheoretische Zweifel daran aufkommen. Ganz gleich, ob Hochschulgruppen aus dem linken oder rechten Spektrum die Schaltstellen der Macht besetzen: Stets wird gleich ein ideologischer Überbau serviert, der an einer Universität schlichtweg nichts zu suchen hat!
Beispiel 1:
Im vergangenen Sommer zankten StuPa und AStA in Mainz über eine Schweigeminute zu den Opfern des 17. Junis 1953 (für alle, die damals in der Schule krank waren: Tag des DDR-Volksaufstands). Durch eine sprachliche Gleichsetzung der SED- mit der Diktatur des Dritten Reiches fühlte sich der (linke) AStA provoziert und warf den (rechten) Antragstellern ein „geistiges Stalingrad“ vor.
Das ist, mit Verlaub, politisches Sandkastenspiel und hat an einer Hochschule, zumindest in einem Gremium, das alle Studentinnen und Studenten vertreten und sich um Themen und Probleme der eigenen Uni (und die hat davon ausreichend) kümmern soll, nichts zu suchen. Hier suchen angehende Berufspolitiker eine Bühne, um sich inszenieren und der jeweiligen Gegenseite die falsche politische Einstellung vorwerfen zu können.
Beispiel 2:
Eine Hochschulgruppe der Uni Münster lud Ende November zu einem Vortrag über die Gefährlichkeit eines nuklear bewaffneten Iran ein. Der AStA der Uni Münster distanzierte sich umgehend von diesem Vortrag im Allgemeinen und einigen geladenen Journalisten im Besonderen, da sie nicht die gleiche politische (ideologische?) Linie wie der AStA vertreten würden, zumal eine Auseinandersetzung mit dem „Kriegstreiber USA“ ausbliebe.
Man kann sich mit gutem Recht fragen, wieso ein AStA überhaupt eine geschlossene Haltung zu Ländern wie Iran und USA haben muss und wieso zur Veröffentlichung dieser Meinung Studentenbeiträge aufgewendet werden. Kein AStA hat die Aufgabe, Weltpolitik zu betreiben und – falls jemand eine dem AStA abweichende Position vertritt – die Befugnis, andere zu maßregeln, welche Veranstaltungen besucht bzw. organisiert werden sollen.
Beispiel 3:
Vor einigen Jahren schickte der AStA der TU Berlin zwei Vertreterinnen zum „5. Treffen lateinamerikanischer und karibischer Lesben“ für eine Woche nach Rio. Die Kosten (1.400 €) zahlte die gesamte Studentenschaft aus ihren Beiträgen. Grund der Reise waren geschlechts- bzw. gender-politische Erwägungen sowie wahrscheinlich wieder irgendeine abstruse Form von „Flagge und Solidarität zeigen“.
So nett es bei diesem Treffen zugegangen sein mag, so wenig fällt es in den Bereich eines AStA, Veranstaltungen, die nichts mit der eigenen Universität zu tun haben, mit Studienbeiträgen zu unterstützen. Wer aber Zugriff auf einen großen Batzen Geld hat und sich kaum für dessen Verwendung rechtfertigen muss, neigt mehr zur Durchsetzung eigener politischer Ideale als zur Förderung des studentischen Gemeinwohls.
Überall, wo studentische Gremien mit Studenten politischer Parteien besetzt sind, findet zwangsläufig auch immer Parteipolitik statt. Und diese Parteipolitik wird wiederum aus den Beiträgen aller Studis finanziert. Landauf, landab suggerieren Asten, alle Studenten zu vertreten und in ihrem Namen zu sprechen und zu handeln. Und so distanziert man sich dann eifrig von Castor-Transporten (seit wann ist Energiepolitik das Aufgabenfeld des AStA?), von Israels Umgang mit angeblichen Hilfsschiffen (braucht es demnächst einen Referenten für Außen- und Sicherheitspolitik?), von der Innenministerkonferenz der Länder (Staatsmacht = böse), von einer kabarettistischen Preisverleihung an Thilo Sarrazin (soll der AStA doch Preise an ihm genehme Personen verleihen) und so weiter… Die eigentlichen Kernaufgaben werden dabei gerne zurückgestellt, wenn man nur ordentlich auf den Putz hauen und eigene ideologische Überzeugungen als Meinung der Studentenschaft verkaufen kann!
In Germersheim braucht es weder Parteien noch sonstige Bewegungen, um einen funktionierenden AStA und ein beschlussfähiges StuPa zu haben. Hier wird geschaut, welche Themen am Fachbereich anliegen, welche Wünsche aus der Studentenschaft an die Gremien herangetragen werden und welche eigenen Ideen diskussionswürdig sind. Der Haushalt ist transparent, einen Schuldenstand gibt es nicht und die Wahlergebnisse liegen – rechnet man die sich im Ausland befindenden Studenten (und das sind an einer Sprachenuni nicht wenige) sowie die „Karteileichen aus dem Diplom“ (O-Ton eines Professors) heraus – weit über 20%. Zweifel an der demokratischen Eignung unserer Referenten gab es bisher nie, weder nationalistischer Konservativismus noch kommunistische Spinnereien stören den Ablauf und politische Plattitüden („Die Basis ist die Grundlage des Fundaments“) wird man von unseren Vertretern nicht hören. Wer bei uns etwas sagen möchte, braucht keine Liste, um Gehör zu finden, wer ins StuPa drängt, muss dies nicht mit der Verbesserung der Welt begründen und wer ein AStA-Referat übernimmt, tut das kaum mit der Aussicht auf eine üppige Aufwandsentschädigung: Die liegt im Übrigen nicht bei 400 € monatlich wie an anderen Unis, sondern bei 155 €. Ein höherer Betrag wäre moralisch auch kaum zu rechtfertigen, denn schließlich nimmt der AStA dieses Geld aus studentischen Beiträgen, die jeder zahlen muss, ob er will oder nicht.
Es soll nicht der Eindruck erweckt werden, dass Parteien unnütz oder gar überflüssig sind. Ganz im Gegenteil, sie sollen tatsächlich zur politischen Willensbildung beitragen. Wer sich in ihnen engagiert, macht sich zweifelsfrei um das Gemeinwohl verdient. Gleichwohl ist es nicht die Aufgabe studentischer Vertretungen, sich allgemeinpolitisch zu betätigen oder auch nur zu äußern. Weder das Streben nach Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft noch die Befreiung kolonialisierter Völker liegt im Aufgabenbereich eines AStA. Wer sich dennoch dafür einsetzen möchte, kann und soll das außerhalb und vor allem nicht im Namen der Uni tun. Wahlbeteiligungen von 10% sind auch die Folge solcher Verirrungen. Nur wenn Asten sich wieder auf ihr Kerngeschäft (und darin haben sie tatsächlich auch die Kernkompetenz) beschränken, d.h. dem Service für Studenten, der Sicherstellung reichhaltiger kultureller Angebote, dem Eintreten für freie Forschung und Lehre und der Wahrung studentischer Interessen, dann finden sie auch wieder ausreichende Legitimation. Um eine solche Erkenntnis zu gewinnen, braucht es aber keine Wochenendseminare, keine Publikationen von Kampfschriften und keine Gruppendiskussionen: Ein Besuch auf einem kleinen Campus in der Vorderpfalz würde genügen.
Kommentar schreiben
Ben (Freitag, 20 März 2015 19:58)
Bevor jemand den Kaffee von hier dann nochmal aufwärmt....
Euer alter StuPa-Präsident behauptete: "Vor einigen Jahren [sic!] schickte der AStA der TU Berlin zwei Vertreterinnen zum „5. Treffen lateinamerikanischer und karibischer Lesben“ für eine Woche nach Rio."
Dabei war die Rio-Reise schon 2011 eine sehr alte Kamelle. Sie taucht bereits in einem Zeitungsartikel von 2001 (!) auf: http://www.berliner-zeitung.de/archiv/der-berliner-rechnungshof-mahnt-die-asten-ab-einmal-im-adlon-den-regelverstoss-ueben,10810590,9889168.html
Liebe Grüße
Ben
Öffentlichkeitsreferat
AStA TU Berlin
(Zur Zeit der Rio-Reise gerade in der Grundschule...)