Zwischen Countdown und anhaltendem Applaus

Studierende des FTSK der JGU Mainz in Germersheim erklären sich solidarisch mit den Demonstranten in der Türkei



Drei Wochen vor dem Countdown machte ein Bericht beim Südwestdeutschen Rundfunk die Runde am Fachbereich 06 (Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft) in der ruhigen Kleinstadt Germersheim: Die türkische Abteilung hatte ein Übersetzungsprojekt ins Leben gerufen, bei dem sich ehrenamtliche Übersetzerinnen und Übersetzer engagierten, um die neuesten Nachrichten aus Istanbul und anderen Teilen der Türkei in ihre jeweiligen Sprachen zu übertragen und online zu verbreiten. Die Nachricht, dass FTSK-ler über http://translateforjustice.wordpress.com einen direkten und unmittelbaren Beitrag am politischen Geschehen am Bosporus leisteten, wurde mit großen Augen und anerkennendem Nicken von allen Seiten des Fachbereichs aufgenommen.

Vor zwei Wochen erreichte den AStA des FB 06 ein Aufruf von Frau Univ.-Prof. Dr. Dilek Dizdar, Dozentin bei der türkischen Abteilung und Mit-Initiatorin von „Translate for Justice“. Angestellte deutscher Universitäten hatten eine Petition verfasst, angelehnt an eine Petition des türkischen Künstlers Fatih Akin, die er gemeinsam mit zahlreichen Künstlerkollegen ins Leben gerufen hatte. Frau Dizdar lud nun ihrerseits dazu ein, sich an der Petition zu beteiligen. Die Mitglieder des AStA waren begeistert von der Idee, doch es sollte zusätzlich noch etwas im Namen der Studierendenschaft geschehen.

So führte eins zum anderen: Frau Dizdar ermutigte uns, eine eigene Petition (gerne auch online, Studierende finden sich dort ja leichter zurecht als altgediente Doktoren und Professoren) zu erstellen und auch unsere Solidarität direkt zum Ausdruck zu bringen – warum nicht nach dem Vorbild des türkischen Performance Künstlers Erdem Gündüz? Dieser hatte sich, nachdem 'klassische' Demonstrationen und Versammlungen seitens der Staatsmacht mit Gewalt aufgelöst wurden, acht Stunden lang regungslos auf den Taksim-Platz gestellt, um einerseits für seine Meinung einzustehen und andererseits der Polizei keine Zugriffsmöglichkeit auf seine Person zu erlauben. Diese einfache, aber umso wirkungsvollere Form des Protests hatte sich über die türkischen Grenzen hinaus verbreitet und sollte nun auch auf dem Campus des FTSK Einzug halten.

 

Drei, zwei, eins...

 

Der Start unserer Protestaktion, die symbolische acht Minuten dauern sollte, war so gewählt, um möglichst viele Kommilitonen und Kommilitoninnen auf unseren Protest aufmerksam zu machen: Pünktlich zur Mittagspause versammelten sich etwa 50 Studierende auf dem Weg von den Hauptgebäuden Richtung Mensa. Dabei erhielten wir enorme Unterstützung aus der türkischen Abteilung, bei der ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bedanken möchte! So war nicht nur Frau Dizdar mit von der Partie, sondern auch Frau Dr. Sebnem Bahadir unterstützte uns nach Kräften. Sie hatte ihre Studierenden dazu ermutigt, Plakate mit den Sätzen „Solidarität ist überall“ und „Solidarität mit Gezi“ zu gestalten und unter den Protestierenden zu verteilen.

Dann war Schweigen. Ein spannendes Gefühl, für eine Sache einzustehen und dies öffentlich darzustellen. Selten spürte man mehr Kribbeln als beim (augenscheinlichen) Nichtstun! Die Macht dieser Aktion konnte man nicht nur als Teilnehmer spüren, sie war auch an den Gesichtern aller Universitätsangehörigen zu sehen, die sich plötzlich einer nicht zu übersehenden Gruppe Schweigender gegenüber sahen. Am eindrucksvollsten war die Reaktion einiger, die sich spontan dem Protest anschlossen und somit dafür sorgten, dass die still protestierende Gruppe weiter wuchs.

Nach den acht Minuten löste sich die Spannung und lauter, anhaltender Applaus brach aus. Wir hatten gerade eine bewegende und erfolgreiche Aktion erlebt. Was noch bleibt ist unsere Petition auf change.org. Unter dem Link http://chn.ge/11PfHaH sind nun auch Studierende anderer Universitäten dazu aufgerufen, die Petition mitzuzeichnen und sich hinter der bereits protestierenden Gruppe zu versammeln, wie es auch am Mittwoch geschehen ist.

 

Matthias Balzer, AStA Germersheim, 1. Vorsitz


Fotos von Niccolò Parigini und vom International Legal Team Mannheim

Kommentar schreiben

Kommentare: 0