Am 5. Mai starteten in Germersheim drei voll beladene Autos bei schönstem Sonnenschein in Richtung Belgien. Genauer gesagt war das Ziel die Hauptstadt Brüssel, denn die deutsche Kabine der Europäischen Kommission hatte zwölf Studierende des Studiengangs Konferenzdolmetschen eingeladen. Drei Tage lang sollten wir, Studierende beider Jahrgänge, sowie Frau Boyer, die uns begleitete, die Möglichkeit haben, einen Eindruck von der Arbeit bei der Europäischen Kommission zu gewinnen und Dolmetscher aus der deutschen Kabine kennenzulernen.
So begann der Montagmorgen mit einer Sicherheitsüberprüfung und der Aushändigung der Zugangsausweise in dem etwas in die Jahre gekommenen Konferenzzentrum Albert Borschette CCAB, bevor wir von der Referatsleiterin der deutschen Kabine, Carlota Jovani, begrüßt wurden. Zwei ihrer Kolleginnen, Judith Lambert und Andrea Huppmann, stellten uns anschließend die Generaldirektion Dolmetschen vor, berichteten von der Arbeit als Dolmetscher bei der EU und klärten uns über die Akkreditierungstests auf. Dabei ging es unter anderem um die Bewerbung, die Zulassungsbedingungen und den Inhalt der Tests. Hier findet ihr nähere Informationen dazu. Fragen unsererseits waren dabei sehr willkommen. Dies galt auch für die darauffolgende Vorstellung des EuGH, des Europäischen Gerichtshofes, durch eine weitere Kollegin der deutschen Kabine. Hierzu wurden allerdings kaum Fragen gestellt, denn die meisten von uns waren so beeindruckt und auch ein wenig bestürzt über die Erzählungen, die – im Gegensatz zur Vorstellung der anderen Teilbereiche – keine allzu gute Werbung für die Arbeit als Dolmetscher beim EuGH zu sein schienen.

Nach der Mittagspause galt es dann, Werbung für sich selbst zu machen. Es stand ein Mock-Test auf dem Programm. Hierbei hielt zunächst eine Dolmetscherin aus der französischen Kabine eine französische Rede, die zwei Studierende aus dem Examenssemester konsekutiv wiedergaben. Im Anschluss gab es noch eine englische Rede von einem englischen Kollegen, die von allen Studierenden simultan verdolmetscht wurde. Auffallend dabei war, wie angenehm es war, eine freie Rede zu dolmetschen, denn die meisten von uns sind es doch gewohnt, einen Text vorgelesen zu bekommen. Eine weitere Auffälligkeit war der großzügige Platz in den Kabinen. Das war auf der einen Seite sehr angenehm, machte es auf der anderen Seite jedoch aufwändiger, dem Kabinenpartner schnell ein fehlendes Wort auf den Block zu kritzeln, denn den Block musste man dann auch noch durch die halbe Kabine schieben.
Als wir das Gebäude an diesem Tag gegen fünf Uhr verließen, waren alle recht erschöpft. Nichtsdestoweniger war der Abend ja noch jung und so trafen wir uns - nach einer kurzen Pause - im Kneipenviertel wieder, um gemeinsam noch belgisches Bier zu genießen.
Dienstag und Mittwoch standen im Zeichen der stummen Kabine. Wir hatten die Möglichkeit, an realen Sitzungen der Kommission oder des Ministerrates teilzunehmen. Dienstag standen Sitzungen zu den Themen Steuern, Tierschutz und Zollbestimmungen zur Auswahl. In den beiden erstgenannten Sitzungen konnten jeweils drei Studierende eine stumme Kabine belegen; in der letztgenannten konnten sogar sechs Studierende zwei Kabinen belegen. Diese sechs Studierenden hatten Glück, denn es gab sechs verschiedene Sprachen, in die gedolmetscht wurde. Das zu hören und auch zu sehen, war besonders spannend und so verbrachten wir die erste halbe Stunde nur mit Beobachten und Zuhören. Es ist wirklich unglaublich, was professionelle Dolmetscher während ihrer Arbeit alles nebenher machen. In der Kabine wird gegessen und getrunken, am Computer gespielt oder – ganz beliebt – Zeitung gelesen. Letztere Tätigkeit wurde sogar bei einem Kollegen während des Dolmetschens beobachtet (und gehört), was bei uns zu erstauntem Kopfschütteln führte. Empörung hingegen rief bei uns die Mikrofondisziplin hervor: Was bei uns als Todsünde betrachtet wird, scheint bei den Profis gängige Praxis (geworden) zu sein. So wurde oft mitten im Satz einfach mal das Mikrofon für einen Moment ausgeschaltet. Dass die Räuspertaste in so vielen Kabinen nicht funktionierte, ist jedenfalls unwahrscheinlich …
Beim Mittagessen hatten wir wieder die Möglichkeit, Dolmetschern der deutschen Kabine Fragen zu stellen. Hierbei ging es nicht nur um den Arbeitsalltag, sondern auch um persönliche Erfahrungen und Tipps für unser späteres Arbeitsleben.
Am Mittwoch trafen wir uns in einem anderen, etwas neueren Gebäude der Europäischen Kommission, dem Lex-Gebäude, in dem wir an zwei Sitzungen mit bis zu 14 verdolmetschten Sprachen teilnehmen konnten. Auch hier machte das Üben sehr viel Spaß, da jeder sich seine Sprachen heraussuchen, aber auch einmal in etwas seltener vorkommende Sprachen hineinhören konnte. Wie auch an den Vorabenden endete dieser Tag mit belgischem Bier in einer gemütlichen Runde.

Vor der Abreise, die für Donnerstagnachmittag geplant war, besuchten einige das Atomium, andere machten einen Spaziergang durch die Gässchen der Stadt und besichtigten das zweite Wahrzeichen der Stadt: „Manneken Pis“. Nach den gemeinsam verbrachten Abenden zeigte sich auch hier wieder, dass wir eine sehr harmonische Gruppe waren, wodurch der Besuch in Brüssel noch schöner wurde.
Mein Fazit: Es war ein tolles Erlebnis, EU-Dolmetscher bei der Arbeit zu sehen, einmal in einer „echten“ Kabine zu sitzen und die ganze Atmosphäre in der „wahren Dolmetsch-Welt“ mitzuerleben. Jedem, der im kommenden Jahr die Möglichkeit erhält, zur Europäischen Kommission nach Brüssel zu fahren, kann ich nur raten: Nehmt die Chance wahr – es ist eine Erfahrung wert!
Text und Fotos Flora Boegel
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