Model European Union bietet u.a. angehenden Dolmetscherinnen und Dolmetschern die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten auch außerhalb des Studiums unter Beweis zu stellen. Luca hatte dieses Jahr die Chance, daran teilzunehmen und berichtet euch hier von seinen Erfahrungen.

Vom 20. bis 27. April 2013 fand in Straßburg die Model European Union (MEU) statt, an der auch ich teilgenommen habe. Dabei handelt es sich um eine Simulation von Entscheidungsprozessen in der Europäischen Union. Auf etwa 200 Teilnehmer aus über 30 Ländern der Welt werden folgende Rollen verteilt: Minister, Präsident und Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Europaabgeordnete der verschiedenen Fraktionen, Kommissare, Vertreter und Botschafter der kroatischen Regierung, Lobbyisten, Journalisten und natürlich auch Dolmetscher!
Die Minister und die Europaabgeordneten diskutierten in den Räumlichkeiten des Europaparlaments in Straßburg über den Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für die Online-Nutzung von Rechten an Musikwerken im Binnenmarkt und über die EU-Beitrittsverhandlungen Kroatiens. Sie mussten Abänderungsvorschläge und Klauseln einreichen und darüber abstimmen.

Das Ganze wurde in die folgenden Sprachen gedolmetscht: Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Polnisch, Slowakisch, Ungarisch und Kroatisch. Die offizielle Sprache der Sitzungen war Englisch, aber es gab jeden Tag auch sogenannte mother-tongue sessions, bei denen die Abgeordneten auch ihre Muttersprache sprechen durften und im Relais-Modus gedolmetscht wurde. Die Sitzungen des Europäischen Parlaments wurden simultan gedolmetscht, während das Konsekutivdolmetschen der ausgewählte Modus für die Verdolmetschung der Wortmeldungen der Minister im Europäischen Rat war. Bei den Treffen der Fraktionen wurde auch Flüsterdolmetschen angewandt.
Die Vorbereitung auf die Konferenz war aufgrund der Komplexität der zu behandelnden Themen und der großen Menge an fachspezifischem Material ziemlich schwer. Außerdem wurden wir mit unglaublich unterschiedlichen englischen Akzenten sowie mit sehr kurzen und schnellen Wortmeldungen konfrontiert, die oft auf 45 oder sogar 30 Sekunden begrenzt wurden.

Es war aber nicht immer nur harte Arbeit! Uns stand nämlich ein Entspannungsraum mit Chaiselongues zur Verfügung, der speziell für Dolmetscher gedacht war und den wir interpreters nap room nannten. Außerdem gab es ein kulturelles und gesellschaftliches Programm, das uns die Möglichkeit gab, die Stadt zu besichtigen und die anderen Teilnehmer außerhalb ihrer Rolle als Minister oder Europaabgeordnete besser kennenzulernen.
Ziel dieser Veranstaltung war es, die Teilnehmer verstehen zu lassen, wie der Entscheidungsprozess der Europäischen Union abläuft. Die Dolmetscher konnten außerdem die Arbeit der Dolmetscher im Europaparlament erleben, die sich oft stark von dem unterscheidet, was man von der Uni kennt.
Ich freue mich sehr darüber, an der MEU Straßburg 2013 teilgenommen zu haben. Es war eine wunderbare Übungsmöglichkeit, aber auch und vor allem eine Chance, die Rolle und die Arbeit der Dolmetscher hervorzuheben. Ich habe noch ganz deutlich in Erinnerung, dass viele Teilnehmer am ersten MEU-Tag noch gar nichts über das Dolmetschen wussten. Sie konnten sich schwer erklären, warum auch Dolmetscher anwesend waren, da sie alle dachten: „Wir alle können Englisch, wozu brauchen wir also Dolmetscher? Moment, was macht eigentlich ein Dolmetscher?“ Aber dann, bereits in der ersten Mittagspause, kamen die Abgeordneten zu uns und sagten: „Wir müssen euch von Herzen danken! Ohne euch hätten wir fast nichts verstanden! Es wird so schnell gesprochen! Wie könnt ihr dabei simultan dolmetschen? Und das sogar aus dem Tschechischen? Ihr macht hier die schwierigste Arbeit!“ Es war eine kleine Gegenleistung für das Dolmetschen, da 180 Teilnehmer, die vorher ganz wenig oder gar nichts über diesen Beruf wussten, sich jetzt der Wichtigkeit unserer Tätigkeit bewusst sind und ein großes Interesse dafür entwickelt haben.

Die Model European Union findet in verschieden europäischen Städten wie Straßburg, Mainz, Granada, Zagreb und Belgrad statt. Leider werden Dolmetscher bisher lediglich in Straßburg eingesetzt,aber es besteht die Möglichkeit, dass ab nächstem Jahr auch in Mainz ein Dolmetsch-Dienst angeboten wird. Alle Informationen findet ihr auf der offiziellen Website der MEU Strasbourg sowie auf der offiziellen Website von BETA (Bringing Europeans Together Association), dem Verein, der alle Model European Unions und andere Initiativen veranstaltet. Ich kann euch eine solche Erfahrung, bei der ihr viel dolmetschen, andere Menschen und Kulturen kennenlernen und viel Spaß haben werdet, zu nur empfehlen. Dafür sind ein Lebenslauf, ein Motivationsschreiben (500-1000 Wörter) und zwei von Universitätsdozenten geschriebene Empfehlungsschreiben einzureichen, in denen die Dolmetschfähigkeiten des Bewerbers aus dem Englischen in die Muttersprache und umgekehrt aus der Muttersprache in das Englische bestätigt werden, einzureichen
Viel Erfolg an alle Bewerber!
Text und Fotos von Luca Todaro
Kommentar schreiben