Ein Semester in Chile

Hilke hat von August bis Dezember 2012 ein Auslandssemester an unserer Austausch-Universität in Concepción, Chile verbracht

Welchen Eindruck hast du von Chile und Concepción? Gefällt es dir? Was gefällt dir besonders, was gefällt dir gar nicht?

 

Eine der beeindruckendsten Eigenschaften Chiles ist für mich ohne Zweifel die geografische Vielfalt – bisher konnte ich kein anderes Land kennenlernen, in dem man so viele unterschiedliche Landschaften findet. Wüste, Strand, Berge, Wiesen, Gletscher – man hat wirklich alles hier. Im Gegensatz zu Deutschland, wo man ja kaum einen ungenutzten Flecken Land mehr findet, kann man in Chile teilweise ewig durch die Natur fahren. Im großen Kontrast dazu wirken viele Städte dann schon sehr europäisch oder nordamerikanisch; in der Hauptstadt Santiago de Chile könnte man z.B. problemlos das Gefühl haben, in einer europäischen Metropole gelandet zu sein.

In Concepción, wie auch in ganz Chile, hat mir allerdings vor Allem die Liebenswürdigkeit und Gastfreundlichkeit der Chilenen gefallen und mich immer wieder aufs Neue überrascht. Obwohl sie anfangs manchmal etwas schüchtern wirken, zeigen die Chilenen sehr schnell großes Interesse, sobald sie einen erstmal kennengelernt haben und sind unglaublich hilfsbereit, freundlich und großzügig. Davon könnten sich die Deutschen eine Menge abgucken!

 

Weniger gefallen hat mir an Chile das, woran sich wohl fast jeder Deutsche erst einmal gewöhnen muss: Pünktlichkeit und Verlässlichkeit kann man in Chile vergessen und muss dafür eine Menge Geduld mitbringen. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber auch daran. Concepción selbst hat mich anfangs etwas enttäuscht, weil es zwar die zweitgrößte Stadt des Landes ist, aber leider kaum Sehenswertes oder Interessantes zu bieten hat. Durch die vielen Stundenten ist aber dennoch immer etwas los.

 

Was sind die größten Unterschiede zwischen Deutschen und Chilenen?

 

Die größten Unterschiede findet man wahrscheinlich bei den Punkten Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, mit denen es die Chilenen nicht immer so genau nehmen. Dafür sind die Chilenen im Vergleich zu den Deutschen wesentlich offener, hilfsbereiter und freundlicher und sehen vieles nicht so eng, sondern vertrauen darauf, dass sich alles schon irgendwie ergeben wird.

Was hast du an Deutschland vermisst?

An Deutschland habe ich nicht selten die Pünktlichkeit und Verlässlichkeit der Menschen vermisst; da erfüllen wir im Vergleich zu den Chilenen schon das typisch deutsche Klischee. Dazu kam die Effizienz, mit der in Deutschland gearbeitet wird, denn die Chilenen arbeiten zwar sehr viel, lassen sich von Stress und Hektik aber überhaupt nicht anstecken.

Zu guter Letzt habe ich häufig – ganz banal – deutsches Brot vermisst! In Chile findet man nämlich fast ausschließlich Weißbrot, dafür aber in tausenden Variationen.

 

Wie sah dein typischer Alltag aus?

An Tagen, an denen die Uni nicht bestreikt wurde, hatte ich einen bis drei Kurse pro Tag. Zwischendurch besuchte ich meistens noch Sportkurse auf dem Campus, traf mich mit Freunden und/oder erledigte Übersetzungen o.Ä. Im Sommer wurde der Nachmittag oft genutzt, um an den Strand zu fahren, Picknicks im Park zu machen oder sich einfach auf dem sehr schönen Unicampus zu sonnen. Abends trafen wir uns meistens mit einer großen Clique von Austauschstudenten und chilenischen Freunden, mit denen wir etwas trinken gingen, kochten, DVD-Abende machten usw.

 

Was hältst du von dem Studienangebot und deinen Kursen, wie gefällt dir die Uni, wie ist das Studentenleben? 

Das Studienangebot an der Fakultät Humanidades y Arte ist vergleichbar mit dem in Germersheim, allerdings sieht es mit kultur- und sprachwissenschaftlichen Veranstaltungen etwas spärlicher aus als bei uns. Die Zusammenstellung des Stundenplans verlief typisch chilenisch ziemlich chaotisch, aber nach einiger Zeit und vielem Durchfragen konnten wir dann auch endlich unsere Kurse zusammenstellen. Größtenteils habe ich Dolmetschkurse besucht, die meistens sehr interessant und hilfreich waren. Dank des tollen Verhältnisses zu unseren chilenischen Kommilitonen war der Unterricht immer sehr locker und angenehm. Auch der Umgang zwischen Stundenten und Dozenten ist lockerer als in Deutschland; kommuniziert wird teilweise sogar bei Facebook und man kann auch durchaus mal einen Kaffee mit seinem Dozenten trinken gehen.

Durch die seit Jahren anhaltenden Studentenproteste an der UdeC und der Besetzung unserer Fakultät durch die Studierenden, musste ein Großteil des Unterrichts jedoch für insgesamt ca. zwei Monate ausfallen, was bei einem nur ein Semester langen Aufenthalt recht ärgerlich war. Natürlich habe ich mich nicht zu diesem Auslandssemester entschieden, weil ich in erster Linie Kurse abhaken wollte, aber spätestens nach zwei freien Wochen fällt einem dann doch die Decke auf den Kopf.

Wie kamst du mit den Einheimischen klar? Sind die Leute offen und konntest du dich integrieren?

Die Chilenen haben mir die Eingewöhnung in Concepción wirklich leicht gemacht und besonders viele Kommilitonen waren von Anfang an unglaublich hilfsbereit und freundlich, haben uns zu Partys, leckeren Grillfesten und den ramadas (Parties, die anlässlich der Unabhängigkeitsfeiertage Mitte September auf jedem Unicampus stattfinden) mitgenommen und uns voll und ganz in den Unialltag integriert. Ingesamt ist es kaum ein Problem, sich mit Chilenen anzufreunden, denn überall wird man jemanden treffen, der einmal in Deutschland war, der selbst Deutsch lernt, Mutter/Onkel/Großeltern/Freund oder Freundin o.ä. hat, der/die einmal in Deutschland gelebt hat und einen deshalb kennenlernen möchte. So sind in einem knappen halben Jahr einige sehr gute Freundschaften entstanden, die meine Zeit hier in Concepción erst so unvergesslich gemacht haben!

 

Im Nachhinein: Bist du froh über deine Entscheidung oder bereust du es? Haben sich deine Erwartungen erfüllt?

Trotz kleiner Zweifel vor der großen Reise bin ich sehr froh darüber, dass ich mich zu dem Schritt entschlossen habe, nach Chile zu gehen und würde ihn immer wieder tun. Obwohl ich einige Vorurteile abgelegt habe (Nein, Chile ist KEIN günstiges Pflaster, viele Preise sind auf europäischem Niveau und was die Kriminalität betrifft sollte man sich weder von Deutschen noch von den Chilenen selbst verrückt machen lassen), haben sich die meisten meiner Erwartungen vollends erfüllt! Nur ein einziger Wermutstropfen bleibt, nämlich der, dass Chile einfach viel zu lang ist und man in so kurzer Zeit einfach nicht alles bereisen kann. Chile wird mich deshalb mit Sicherheit wiedersehen.

 

Warum wolltest du unbedingt nach Chile?

Vor dem Studium hatte ich bereits ein knappes Jahr in Madrid verbracht und wollte, nachdem ich Spanien schon gut kennenlernen konnte, schon immer einmal nach Lateinamerika. Zwar wäre Chile nicht meine erste Wahl gewesen, da Germersheim allerdings nur wenige Partnerschaften mit lateinamerikanischen Unis hat, war die Wahl schnell auf Chile gefallen. Heute bin sich sehr froh über diese Wahl und kann jedem nur empfehlen, dieses großartige Land kennenzulernen!

Was war deine interessanteste/peinlichste/lustigste/etc. Erfahrung während deines Aufenthalts?

Viele lustige, bisweilen auch peinliche Momente verdanke ich dem chilenischen Spanisch, das anfangs wahrscheinlich niemand versteht, der eigentlich denkt, dass er die Sprache beherrsche, und das dank etlicher Modismen zweifellos ein eigenes Wörterbuch verdient hat.

Am interessantesten waren mit Sicherheit die Reisen, die ich mit Freunden aus aller Welt in Chile unternehmen konnte. Vom regnerischen Süden über die Überquerung der Anden nach Argentinien bis zur Atacama-Wüste im Norden konnte ich Landschaften wie aus dem Bilderbuch und viele nette Menschen kennenlernen. Viele dieser Momente werde ich so schnell nicht vergessen!

 

 

Das Interview führte Elissa Maccione

Fotos von Hike Effinghaus

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Kommentare: 1
  • #1

    Tanya (Donnerstag, 28 Februar 2013 23:32)

    Liebe Silke,
    ich fand das Interview sehr interessant und freue mich, dass du deinen Aufenthalt so genossen hast!
    Ich freue mich schon darauf, dich bald in Germersheim wiederzusehen.
    Herzliche Grüße aus Barcelona!