Ein Kommentar zur Podiumsdiskussion vom 9. Juli 2012
von Sandro Fanelli
Der Dolmetscherpool Germersheim/Speyer ist ein gemeinnütziges Projekt, bei dem sich sowohl Studierende als auch Lehrende engagieren, und wird von der Universität Mainz im Rahmen der Exzellenzinitiative unterstützt.
Das Projekt wurde Anfang 2012 von Prof. Meyer ins Leben gerufen. Das Anliegen ist, den Studierenden zu ermöglichen, Praxiserfahrung im Dolmetschen zu sammeln und durch die Praxisnähe abseits von Simulationen und Theorie am eigenen Leib zu erfahren, ob, wie und welche Konflikte beim Dolmetschen entstehen können. Gleichzeitig können sie erfahren, ob sie mit der meist einher gehenden emotionalen Belastung umgehen können. Diese Konfrontation mit fremden sozialen Realitäten stellt eine wertvolle Erfahrung dar, die äußerst hilfreich für den späteren beruflichen Werdegang sein kann. Außerdem ist es möglich, sich die Teilnahme als Praktikum anrechnen zu lassen. Dabei wird sehr genau darauf geachtet, dass die Dolmetscher keinen Situationen ausgesetzt werden, die sie nicht meistern können. Hierzu wird bereits bei der Auswahl der Praktikanten darauf geachtet, dass diese ausreichend qualifiziert sind. Nicht zuletzt dient der Dolmetscherpool unter anderem auch dazu, den lokalen sozialen Institutionen zu zeigen, wie wichtig der Einsatz von Dolmetschern für eine bessere Kommunikation ist. Denn obwohl im Landkreis Germersheim besonders viele Familien mit Migrationshintergrund leben, sind die Kommunikationshürden zwischen Institutionen, Ämtern und eben den Familien enorm. Viele dieser Kinder und Familien sind definitiv in der Sozial- und Jugendhilfe angekommen – allein der Zugang bleibt ihnen oft verwehrt. Der Dolmetscherpool passt als Projekt perfekt in den Landkreis in der Südpfalz. Er hilft vor allem dabei, die Angst vor Institutionen zu nehmen und die Hemmschwelle zu senken, die durch Unverständnis und Kommunikationshindernisse entstehen. Die Dolmetscher helfen z.B. auch dabei, das Jugendamt zu erklären. Frau Heck vom Jugendamt spricht hier gerne von einer Win-win-Situation. Hinzu kommt noch , dass Dolmetscher als streng genommen neutrale Personen die Problematik lösen, die entsteht, wenn Angehörige Gespräche dolmetschen müssten. Es passiert sehr oft, dass mangels Dolmetschern ein solches Gespräch von einem Kind aus der Familie gedolmetscht werden muss, welches verständlicherweise mit einer meist sehr persönlichen und komplexen Thematik total überfordert ist. Der Grund hierfür ist, dass viele Institutionen schlicht und einfach (noch) kein Budget vorsehen, um auf diese Problematik einzugehen.
Prof. Dr. Andres befürwortet grundsätzlich ehrenamtliche Arbeit und Praxiserfahrung beim Dolmetschen. Sie ist aus translationswissenschaftlicher Sicht die kritischste Stimme in dieser Diskussionsrunde. Als Leiterin der Fachgruppe Dolmetschen am Fachbereich erkenne sie eine vielschichtige Problematik beim Dolmetscherpool Germersheim/Speyer. Zum einen müsse der Status des Projektes diskutiert werden. Wenn es sich hierbei um ein Forschungsprojekt handle, dann müsse es nicht nur zeitlich begrenzt sein, sondern in der festgelegten Zeit müssten auch alle Variablen durchgespielt werden. Besonders prägnant sei die Frage der Professionalität eines solchen Dolmetscherpools. Eine solche Aufgabe sei hoch anspruchsvoll und widerspreche, so wie sie zur Zeit im Projekt angegangen werde, allem, was in den letzten Jahren in der Dolmetscher-Professionalisierung festgelegt wurde. Aus diesen beiden Gründen sei es problematisch, wenn der FTSK Germersheim als Bildungs- und Forschungseinrichtung junge Menschen aus dem Bachelor oder Masterstudiengang, also nicht fertig ausgebildete Studenten, solch schwierigen Situationen aussetze. Prof. Andres zeigte sich schockiert über die Vorstellung, die Dolmetschertätigkeit entmystifizieren zu wollen. Den Beweis für die Komplexität und Schwierigkeit des Dolmetschens würden schließlich Tausende Forschungsseiten der Translationswissenschaft und Diskursanalyse liefern. Sei die Büchse der Pandora erst geöffnet, könne bald jedermann, und sei es lediglich mit einem Dolmetscherführerschein, als professioneller Dolmetscher auf dem Markt in Erscheinung treten. Alles in allem fehlt Frau Andres bei diesem Forschungsprojekt ein klares Konzept.
Inwiefern bereitet das Studium am FTSK Germersheim die Studenten auf reale Situationen vor?
Wenn der Fachbereich den Anspruch erhebt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Translationswissenschaft zu schaffen, dann besteht die Notwendigkeit, eine fachliche Auseinandersetzung mit der speziellen Thematik des Communitydolmetschens in Gang zu setzen. M.A.-Studierende, die sich in spätestens ein bis zwei Jahren auf dem Markt behaupten müssen, sollten sich spätestens hier die Frage stellen, inwiefern ihr Studium sie auf die Herausforderung des Berufsalltags vorbereitet. Denn obwohl einige der Studierenden bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, wird ihnen hier schlichtweg die Kompetenz abgesprochen, die während des Studiums erlernte Professionalisierung in realen Dolmetschsituationen anzuwenden. Dabei behauptet die Internetseite des FTSK nicht nur, dass Professionelle Übersetzer und Dolmetscher über kulturelle, sprachliche und translatorische Kompetenzen in der Muttersprache und den jeweiligen Fremdsprachen verfügen müssten. Sondern auch, dass sie über fundierte und professionelle Kenntnisse der modernen berufsspezifischen Hilfsmittel verfügen müssten. Auf diese Weise biete der Studiengang eine berufsnahe Vorbereitung auf die hohen Anforderungen des heutigen Arbeitsmarktes.
Absolventen werden mit einem hochwertigen Studium, einem dicken Rucksack translationswissenschaftlicher Ethikkodizes und fundierten Fachkenntnissen auf den Arbeitsmarkt losgelassen. Gleichzeitig sollen sie kurz vor dem Abschluss nicht in der Lage sein, verhältnismäßig einfache, in ihrer Komplexität allerdings keinesfalls zu unterschätzende, Situationen zu meistern. Das mag sich für viele Studierende des FTSK wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen, nicht aber für den Arbeitsbereich Dolmetschen.
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Sandro Fanelli (Samstag, 26 Januar 2013 13:57)
weitere Informationen zum Dolmetscherpool in Germersheim:
http://uepo.de/2012/07/22/quo-vadis-dolmetscherpool-germersheim-podiumsdiskussion-zieht-zwischenbilanz/print/
Arndt (Mittwoch, 19 Juni 2013 16:40)
Wenn ich es recht verstehe, so gilt nach Ansicht der Verantwortlichen im Bereich Dolmetschen der Abschluss als Voraussetzung fürs sogenannte Fachdolmetschen. Dem Autor des Artikels erscheint das nicht ohne Grund ein wenig fremd. Die Position wird aber verständlicher, wenn man die Bedeutung von einheitlichen Standards berücksichtigt, an deren Erarbeitung und Durchsetzung Berufsverbände und Bildungsinstitutionen maßgeblich Anteil haben.
Die Kritik an solchen Standards stützt sich in der Regel auf zwei Behauptungen, die weiter belegt werden müssen. Zum einen wird die Autorität der normgebenden Institutionen in Frage gestellt (siehe AIIC, deren Mitglieder nur einen Bruchteil der tätigen Dolmetscher ausmachen). Zum anderen werden bestimmte Bereiche aus dem Feld der Praxis ausgegrenzt, in denen die Standards keine Anwendung erfahren können (siehe sogenannte Übersetzernorm EN15038). Der Kommentar von Sandro stützt sich auf die zweite Behauptung, wobei die erste Behauptung zumindest implizt mit anklingt (Praxiserfahrung vs. Elfenbeinturm etc).
Der Zeitpunkt und der Ort der Veranstaltung bietete sich meiner Meinung zur Reflektion über die Projekterfahrungen an. Mein Eindruck ist jedoch, dass die Beteiligten die Diskussion in erster Linie zur Betonung ihrer gegensätzlichen Positionen zum Anlass nahmen. Die Kritik an einem unklaren Konzept mag hinsichtlich der Forschungsausrichtung korrekt sein, es hat jedoch auch den Charakter eines Totschlagarguments. Zudem blendet sie die Rolle der gemachten Erfahrungen aus, die für die Erstellung eines Forschungskonzeptes im Sinne einer explorativen Vorstudie nutzbar gemacht werden kann (1001 Seiten Forschungsliteratur hin oder her).
Sieht man einmal von der Kontroverse um die Umsetzung des Projektes ab, so bleibt eine gute Idee, die ein konkretes Problem adressiert und für Sympathie und Interesse über die Grenzen des Fachbereichs hinaus werben kann. Der barmherzige Samowar in Gestalt der FachdolmetscherInnen gibt uns ein Beispiel für problembewusstes Handeln und die Übernahme sozialer Verantwortung.
Entscheidend ist jedoch, dass mit den Einsätzen bei den Beteiligten bestimmte Erwartungen aufgebaut werden, die unmöglich zu erfüllen sind. Fallen mit den Sprachhürden alle Kommunikationsschranken? Nein, dafür bedarf es der Ausbildung von Vertrauen und einer Kultur gemeinsamen Lernens. Lassen sich die FachdolmetscherInnen vor möglichen Schäden schützen? Nein, ihnen fehlt die Begleitung, die auch im Nachhinein bei der Verarbeitung des Erlebten behilflich ist. Bilden sich Anreize heraus, die die sozialen Einrichtungen zur Institutionalisierung des Fachdolmetschens im Rahmen ihrer Beratungsangebote bewegen? Vielleicht, aber hierfür bedarf es Angebote und rechtlicher Leitlinien, die die Niedrigschwelligkeit des Dolmetschpools überwinden.